
Berlin, 05. Nov (Reuters) - Hoffnungsschimmer für die angeschlagene deutsche Industrie: Nach vier Monaten mit sinkender Nachfrage in Folge hat sie im September erstmals wieder mehr Aufträgen erhalten. Die Bestellungen wuchsen um 1,1 Prozent im Vergleich zum Vormonat, wie das Statistische Bundesamt am Mittwoch mitteilte. Von der Nachrichtenagentur Reuters befragte Ökonomen hatten mit einem Wachstum von 1,0 Prozent gerechnet. In ersten Reaktionen hieß es:
MICHAEL HERZUM, LEITER VOLKSWIRTSCHAFT UNION INVESTMENMT:
"In diesem Jahr schwankten die Auftragseingänge in der Industrie recht deutlich. Geschuldet war das den Vorzieheffekten aus Sorge vor US-Zöllen im Frühjahr und einer anschließenden Abschwächung bis hinein in den Spätsommer. Die aktuelle Verbesserung in den Stimmungsindikatoren deutet darauf hin, dass die Phase der hohen Schwankungen nun vorbei sein dürfte. Das hebt die Stimmung und die Unternehmen blicken wieder etwas optimistischer in die Zukunft.
Die Lage ist subjektiv schlechter als die Realität es hergibt. Die tatsächliche Produktion hat das Auf und Ab nicht so stark mitgemacht, wie es die Bewegung in den Orderbüchern andeutet. In Richtung 2026 gibt es gute Gründe für Optimismus. Mit den Investitionen in die deutsche Infrastruktur und Verteidigung sollten die ermutigenden Zeichen bald deutlicher werden – in den Auftragsbüchern ebenso wie in den Produktionshallen."
THOMAS GITZEL, CHEFVOLKSWIRT VP BANK:
"Die Auftragseingänge für den September sind der Lackmustest für die deutsche Industrie. Die Frage war nämlich: Handelte es sich bei den schwachen Neubestellungen im Juli und August um einen Sondereffekt oder handelt es sich um einen neuen Einbruch? Mit dem deutlichen Plus der Auftragseingänge lautet die Antwort: Die Werksferien vieler deutscher Unternehmen haben den Auftragseingang über den Sommer hinweg nach unten verzerrt. Im September standen nun Nachholeffekte an.
Somit sind die Auftragseingänge zumindest wieder zurück in ihrer Seitwärtsbewegung. Die starken Neubestellungen im September dürfen deshalb nicht als Signal einer Trendwende verstanden werden, sondern vielmehr lediglich als Korrektur auf die schwachen Vormonate. Jetzt werden die kommenden Monate zeigen müssen, ob die Zuversicht der Unternehmen sich auch in harten Fakten, also einem höheren Auftragseingang, niederschlagen. Wäre dem so, könnte dann tatsächlich von einem Trendwechsel gesprochen werden."
JÖRK KRÄMER, COMMERZBANK-CHEFVOLKSWIRT:
"Die Auftragseingänge ohne die stark schwankenden Großaufträge haben nur gut die Hälfte des August-Einbruch aufgeholt, der auch durch ungewöhnlich viele Werksferien in der Autoindustrie verursacht worden war. Alles in allem bewegen sich die Orders weiter unter Schwankungen seitwärts, sie signalisieren anders als die weiter nach vorne schauenden Stimmungsindikatoren wie das Ifo-Geschäftsklima noch keine Erholung. Diese dürfte erst im nächsten Jahr einsetzen, wenn der Staat die Nachfrage durch Schulden finanziert anschiebt. Allerdings trägt das Züge eines Strohfeuers, weil es wohl nicht zu den notwendigen umfassenden Reformen kommt."
ALEXANDER KRÜGER, CHEFVOLKSWIRT HAUCK AUFHÄUSER LAMPE:
"Die Auftragslage lässt insgesamt weiter zu wünschen übrig. Mehr Aufträge bedeuten derzeit nicht auch ein Mehr an Produktion. Es bedarf erst einmal weiterer Zuwächse, um die Auftragsverluste der Vormonate aufzuholen. Das ist schwierig genug, zumal Unternehmen wieder über Materialmangel klagen. Bis zum Hauptschub des Fiskalpakets gilt es sich weiter durchzuhangeln. Eine Belebung der Kapazitätsauslastung steht vorerst jedenfalls nicht auf der Agenda. Auch werden die chronischen Probleme in der Industrie durch das Fiskalpaket nicht einfach so verfliegen."
CYRUS DE LA RUBIA, CHEFVOLKSWIRT
"Die Abhängigkeit vom Ausland nimmt zu. Die inländische Nachfrage hat nachgelassen und wurde überkompensiert durch die Aufträge aus dem Ausland, so dass insgesamt ein Zuwachs erreicht wurde. Auch wenn die Abhängigkeit aus dem Ausland damit gestiegen ist, könnte sich das in absehbarer Zeit ändern. Denn die Bundesregierung ist ja gerade dabei, die Weichen für einen Anstieg der Nachfrage im Inland zu stellen. Höhere Infrastrukturausgaben, die Entfaltung des Investitionsboosters, niedrigere Strompreise durch den Industriestrompreis ab dem nächsten Jahr und mehr Verteidigungsausgaben - all das sind Dinge, die auf die Inlandsnachfrage einzahlen sollten."