Berlin, 13. Jun (Reuters) - Vor dem Hintergrund wachsender geopolitischer Spannungen und größerer Unsicherheit durch Zollkonflikte gewinnen die Länder Lateinamerikas für die deutsche Wirtschaft spürbar an strategischer Relevanz. Trotz der global eingetrübten Konjunkturstimmung blicken viele Unternehmen in der Region – insbesondere in Brasilien – vergleichsweise optimistisch auf die eigene Geschäftsentwicklung, wie eine am Freitag veröffentlichen Umfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) unter mehr als 500 Firmen mit Sitz in Süd- und Mittelamerika und über 30 Unternehmen mit Standorten in Brasilien zeigt.
"In einer zunehmend fragmentierten Welt rücken wirtschaftlich stabile und rohstoffreiche Regionen wie Lateinamerika verstärkt in den Fokus", sagte DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier. "Gerade Brasilien bietet für deutsche Unternehmen großes Potenzial – nicht nur als Absatzmarkt, sondern auch für Investitionen in lokale Wertschöpfung."
Deutsche Unternehmen in Süd- und Mittelamerika bewerten demnach ihre Geschäftslage überdurchschnittlich positiv – 46 Prozent melden gute, nur neun Prozent schlechte Geschäfte. Brasilien nimmt hier eine Schlüsselrolle ein: Mit einem bilateralen Handelsvolumen von rund 21 Milliarden Euro ist das Land der wichtigste Handelspartner Deutschlands in der Region, wie die DIHK erklärte. 35 Prozent der dort aktiven deutschen Unternehmen berichten von einer guten Geschäftslage, nur sechs Prozent von einer schlechten.
Gut zwei Drittel der Firmen in Brasilien erwarten bessere Geschäfte im kommenden Jahr, nur neun Prozent rechnen mit einer Verschlechterung, wie aus der Sonderauswertung des AHK World Business Outlook (WBO) hervorgeht. "Brasilien ist weit mehr als ein Rohstofflieferant", betonte Treier. Das Land biete beste Voraussetzungen für Technologie, Industrie und Energiewende. "Ob Maschinenbau, Wasserstoff oder Medizintechnik – das Potenzial ist enorm."
Wenn es in diesem Jahr gelinge, das EU-Mercosur-Abkommen in Kraft zu setzen, steige der Anreiz für Handel und Investitionen aus der EU in der gesamten Region. Davon werde Brasilien als größte Volkswirtschaft des Mercosur zusätzlich profitieren, hieß es. Wenn es außerdem gelinge, die Verhandlungen über ein Doppelbesteuerungsabkommen erfolgreich zu gestalten, falle ein weiteres Investitionshindernis für deutsche Firmen weg. Zu den Mercosur-Staaten gehören auch Argentinien, Paraguay und Uruguay.
Dem insgesamt positiven Stimmungsbild steht jedoch ein trüber Konjunkturausblick gegenüber. In Brasilien rechnen 32 Prozent der Betriebe mit einer schlechteren wirtschaftlichen Lage im Land – nur 21 Prozent erwarten eine bessere Situation. "Die geopolitischen Risiken und die unberechenbare US-Zollpolitik belasten die globale Konjunktur – auch in Lateinamerika", sagte Treier. "Doch Brasilien punktet weiter mit einem robusten Binnenmarkt und einer guten Infrastruktur im Vergleich zur Region."