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HINTERGRUND-Schwieriger Balanceakt - Kanzler Merz und Israel

ReutersJul 22, 2025 1:49 PM
  • Israels Vorgehen in Gaza setzt Regierung unter Druck
  • Merz: Keine "bedingungslose Unterstützung"
  • Aber Deutschland verhindert EU-Sanktionen gegen Israel
  • Holocaust, Waffen, Realpolitik als Gründe für Zurückhaltung
  • Aber Differenzen mit Netanjahus Regierung wachsen

- von Andreas Rinke

- Als Kanzler Friedrich Merz am Montag gefragt wurde, wie er Israels Politik im Gazastreifen beurteilt, sagte er: "So, wie die israelische Armee dort vorgeht, ist das nicht akzeptabel." Er habe dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu erst vergangenen Freitag "sehr klar und sehr deutlich" gesagt, dass man mit dessen Gazapolitik nicht einverstanden sei. Das verhindert aber nicht, dass die Bundesregierung beim Thema Israel plötzlich doppelt unter Druck gerät.

Zum einen schloss man sich am Montag nicht einem Aufruf der engsten Verbündeten Frankreich, Großbritannien, Dänemark und vieler anderer Staaten an, dass Israel den Gazakrieg stoppen müsse. Zum anderen löst das Thema plötzlich einen Streit in der Koalition aus: Entwicklungsministerin Reem Alabali Radovan (SPD) forderte wie andere SPD-Politiker Außenminister Johann Wadephul (CDU) offen auf, sich der Erklärung anzuschließen. Doch ein ganzes Set an - teilweise nicht ausgesprochenen - Gründen verhindert, dass Deutschland seine Israel-Politik grundlegend verändert.

STAATSRÄSON UND HOLOCAUST

Vor allem seit die frühere Kanzlerin Angela Merkel mehrfach betonte, die Sicherheit des jüdischen Staates sei Teil deutscher Staatsräson, scheint diese Position zementiert. Es gilt parteiübergreifend als gesetzt, dass es eine weiter geltende deutsche Verantwortung für Israel gibt, die sich aus der Ermordung der europäischen Juden in der NS-Zeit ergibt. Damit will kein Kanzler brechen, dies war auch bei Olaf Scholz so. Deutsche Diplomatie pocht darauf gegenüber engsten Partnern und arabischen Staaten, die nach Aussagen vieler Diplomaten für diese besondere deutsche Position auch Verständnis zeigen.

Allerdings gibt es angesichts der immer weiter steigenden Zahl an Toten unter der Zivilbevölkerung im Gazastreifen - und stark sinkender Unterstützung in Umfragen für die deutschen Israel-Politik - Bewegung: "Ich habe mir die Formulierung 'bedingungslose Unterstützung' nie zu eigen gemacht", betonte Merz am Freitag erstmals. Außenminister Wadephul hatte zuvor betont, dass die Bundesregierung bei Waffenlieferungen an Israel zwischen der nötigen Selbstverteidigung des jüdischen Staates gegen äußere Feinde wie Iran und dem Einsatz deutscher Waffen im Gazakrieg durch diese israelische Regierung unterscheiden müsse. Kritik musste Wadephul aber auch intern einstecken, als er davon sprach, dass es keine "Zwangssolidarität" mit Israel gebe.

RUSSLANDS ÜBERFALL AUF UKRAINE UND ISRAEL IM GAZASTREIFEN

Die deutsche Position gerät durch zwei Ereignisse unter Druck: der russische Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 und der israelische Einmarsch im Gazastreifen nach dem Hamas-Überfall auf Israel im Oktober 2023. Seither muss sich die Bundesregierung gegen den Vorwurf etwa von Regierungen der Südhalbkugel verteidigen, einen doppelten Standard bei Israel anzulegen. Denn die Zahl der zivilen Opfer durch das israelische Vorgehen im Gazastreifen übersteigt die der russischen Angriffe auf die Ukraine bei weitem. Zudem verurteilt sie selbst die fortgesetzte Landnahme im besetzten palästinensischen Westjordanland durch radikale jüdische Siedler als völkerrechtswidrig. Dennoch verhindert Deutschland in der EU bisher Sanktionen gegen Israel.

Die Regierung weist den Vergleich zwischen Russland und Israel vehement zurück: Das demokratische Israel sei etwa im Oktober 2023 von der Hamas überfallen worden und stecke in einer Verteidigungsposition, argumentierte etwa der Regierungssprecher. Russland dagegen habe das Nachbarland Ukraine überfallen, von der keinerlei Gefahr ausgegangen sei.

EINFLUSS DURCH KONTAKTE?

Kanzler und Außenminister berufen sich zudem darauf, dass Deutschland neben den USA zu den wenigen verlässlichen Verbündeten gehörten, die überhaupt noch mit der israelischen Regierung reden könnten. Dialog sei viel besser als offene Konfrontation, um Einfluss nehmen zu können. Das Problem: Die Versorgungslage der palästinensischen Zivilbevölkerung hat sich trotz zahlloser Appelle und Mahnungen immer weiter verschlechtert. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes verwies am Montag darauf, dass Israels auch erneute Zusagen seit einer Woche nicht umgesetzt habe.

GILT DIE STAATSRÄSON FÜR DIE NETANJAHU-REGIERUNG?

Die Position der Solidarität ist für die Bundesregierung noch schwieriger geworden, seit in Israel eine rechtsnationale Regierung mit rechtsradikalen Ministern regiert - die teilweise konträrere Ziele zur Bundesregierung und der EU verfolgt. So haben israelische Kabinettsmitglieder vorgeschlagen, die rund zwei Millionen Palästinenser aus dem Gazastreifen umzusiedeln. Der jüngste Vorschlag ist die Einrichtung einer "Stadt" im Süden des Gazastreifens für 600.000 Menschen, die von dort nur nach Ägypten ausreisen können sollen. "Eine zwangsweise Umsiedlung ist inakzeptabel und völkerrechtswidrig", sagt der deutsche Regierungssprecher dazu.

Als Argument gegen Sanktionen angesichts solcher Äußerungen wird in Berlin stets vorgebracht, dass dies nicht die Position der israelischen Regierung, sondern nur einzelner Minister sei. Das Problem: Auch Regierungschef Netanjahu lehnt die von der Bundesregierung geforderte Zweistaaten-Lösung ausdrücklich ab und lässt seine Minister gewähren.

Dies führt zur schwierigen Situation, einerseits an der Staatsräson für das Land Israel festhalten zu wollen, andererseits die Differenzen zur jetzigen Regierung zu betonen. Dies führt im Fall des mit einem internationalen Haftbefehl belegten Netanjahu dazu, dass Merz betont, ein israelischer Ministerpräsident werde in Deutschland nicht verhaftet - während in Berlin gleichzeitig die Hoffnung groß ist, dass der Israeli nicht nach Deutschland reisen wird.

"DRECKSARBEIT" UND MILITÄRINTERESSEN

Zu den meist weniger klar ausgesprochenen Motiven für Zurückhaltung gegenüber Israel gehören die militärische Komponente und die harte "Realpolitik". Zum einen wird in Sicherheitskreisen darauf verwiesen, dass Deutschland Kunde etwa von israelischen Luftverteidigungssystemen sei, die ebenso wie der Geheimdienst und die Cyberabwehrfähigkeiten als besonders leistungsfähig gelten. Zum anderen wird die jüdische Demokratie in der Bundesregierung sehr wohl als Vorposten im Nahen Osten gesehen, der auch im Interesse der Europäer Konflikte eingeht. Ungewohnt offen räumte dies Kanzler Merz am Rand des G7-Gipfels ein, als er davon sprach, dass Israel mit der Bombardierung der iranischen Atomanlagen letztlich die "Drecksarbeit" für die Europäer gemacht habe.

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