- von Andreas Rinke
Washington, 05. Jun (Reuters) - Donald Trump nimmt sich viel Zeit. Mehr als 40 Minuten hält er beim Besuch von Kanzler Friedrich Merz im Oval Office Hof - und präsentiert sich von seiner netten Seite. "Ich liebe das deutsche Volk", hatte er schon bei der Begrüßung des Kanzlers am Auto den Medien zugerufen. Dann folgt im Oval Office eine Harmonie-Übung - und Merz war sichtlich glücklich mit dem Auftritt. "Ich bin sehr zufrieden", wird er später in etlichen Interviews sagen, mal von einer guten persönlichen Grundlage für die kommenden Jahre der Zusammenarbeit, manchmal so gar von einem "fast freundschaftlichen Verhältnis" zu Trump reden.
Dabei liegt zu Beginn durchaus Spannung in der Luft. Das Medieninteresse ist riesig, Journalisten lauern darauf, ob Trump den Deutschen so vorführen wird wie etwa den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Aber Merz hat sich zum einen erkennbar vorgenommen, freundlich zu bleiben - dass sein Redeanteil sehr gering sein würde, war ihm zum anderen schon vor dem Gespräch klar gewesen. Und er will den Präsidenten gleich zu Beginn mit einem Faksimile der Geburtsurkunde seines Großvaters aus dem pfälzischen Kallstadt milde stimmen. "Also wenn ich es richtig deute, dann war er nicht nur interessiert, sondern wirklich auch emotional erreicht", sagt Merz später im Interview mit RTL. Selbst der brav und schweigend an Trumps Seite sitzende Vizepräsident JD Vance und Außenminister Marco Rubio erkundigen sich danach nach dem familiären Geschenk.
Trump wiederum hat erkennbar kein Interesse an einem Streit mit dem Kanzler. Denn Deutschland wird nach dem Bekenntnis zum Fünf-Prozent-Ausgabenziel der Nato neu wertgeschätzt und soll dies in Europa durchsetzen. Alle Kritik an Deutschland, seinem früheren Hassobjekt, überträgt Trump einfach auf die früheren Kanzlerin Angela Merkel.
Also bleibt es beim Lauern auf Gehässigkeiten, die aber ausbleiben. Stattdessen fragt Trump mal wie "Ist Ihr Deutsch so gut wie Ihr Englisch?" Und Merz kann bescheiden abwehren. Als Trump ihn als "schwierig" bezeichnet, fügt er gleich hinzu, dass er das ja als Kompliment meine. Schließlich vertrete Merz die Interessen seines Landes. Und wenn der US-Präsident innenpolitische Gegner abwatscht, lächelt Merz schon mal in Solidarität mit. Eine Spitze zur rechtspopulistischen AfD, mit der etliche Trumpisten sympathisieren, gibt es nicht. Dafür versteigt sich Trump zu der Aussage: "Sie sind ein großartiger Kanzler für Deutschland", was die AfD in Berlin kaum erfreuen dürfte.
Die Differenzen etwa über die Ukraine-Politiker umschiffen beide - auch wenn es einen seltsamen Moment gibt, als Trump den Krieg zwischen Russland und der Ukraine mit dem Kampf zweier Kinder vergleicht und damit die Kriegsschuld einfach gleichmäßig auf beide Länder verteilt. Merz schweigt erst - macht dann aber später klar, dass der Druck nur auf Russland erhöht werden müsse. Die überfallene Ukraine greife schließlich auch keine Zivilisten an wie Russland. Trump verzichtet auf eine Widerrede. Beim Mittagessen reden beide dann nach Teilnehmerangaben Tacheles - aber in freundlicher Stimmung. Im Oval Office putten sie Golfbälle. Merz äußert sich später überzeugt, dass Trump wirklich eine Lösung im Zollstreit zwischen den USA und der EU wolle.
Es gibt auch lustige Momente im öffentlichen Teil des Antrittsbesuchs. Etwa als Merz daran erinnert, dass am Freitag der 6. Juni und damit der Jahrestag des D-Day ist, der Landung der Alliierten in der Normandie im Zweiten Weltkrieg. "Das war kein angenehmer Tag für Sie", sagt Trump. Merz nickt erst automatisch, bevor er reagiert und schnell darauf verweist, dass dies ein entscheidender Tag für die Befreiung Deutschlands von der Nazi-Diktatur war - und er erneut die USA für ihren maßgeblichen Beitrag zur Entstehung eines demokratischen Nachkriegsdeutschlands loben kann.
Als Trump erwähnt, dass seit Beginn seiner Amtszeit die Bewerbungszahlen für die US-Streitkräfte durch die Decke schießen, hört Merz erst aufmerksam zu und fragt dann angesichts der riesigen Personallücke in der Bundeswehr sichtlich interessiert, wie Trump das hinkriege. "Es ist der Spirit. Sie lieben ihr Land wieder. Das werden Sie auch machen", meint Trump mit Blick auf Deutschland.
Zuvor hatte Merz im Blair-House, dem Gästehaus der US-Regierung übernachten dürfen. Diese Ehre war in diesem Jahr bisher nur dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und Indiens Ministerpräsident Narendra Modi zuteilgeworden. Schon das war für Merz ein Zeichen, dass es keinen Krawall-Empfang im Oval Office geben würde.