
- von Andreas Rinke
Johannesburg, 22. Nov (Reuters) - Als die Sherpas der G20-Länder - bis auf den US-Kollegen - vergangenen Montag zusammensaßen, um den Gipfel vorzubereiten, kam Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa nach Informationen von Reuters aus Verhandlungskreisen persönlich vorbei. Der Gastgeber bat sie ausdrücklich, die Arbeit an einer Gipfel-Erklärung abzuschließen - ungeachtet der US-Warnungen, keine Beschlüsse bei dem Treffen zu fassen, das Präsident Donald Trump boykottierte. Am Samstag begann der G20-Gipfel der wichtigsten Wirtschaftsnationen dann gleich mit einer gemeinsamen Erklärung. "Das war eine Botschaft an Washington", sagte ein EU-Diplomat.
Und die europäischen Staats- und Regierungschefs nutzten den G20-Gipfel, um nebenbei eine Abwehrfront gegen Trumps plötzliches Ultimatum an die Ukraine bis Donnerstag zu bilden. Demonstrativ ließen sie sich zusammen mit den G7-Kollegen aus Japan und Kanada fotografieren, um eine Botschaft an Washington zu senden. Selten wirkte der US-Präsident so isoliert in der Welt.
TRUMPS ALLEINGÄNGE ERZEUGEN GEGENREAKTION
Dabei ist Trumps Verachtung für multilaterale Abstimmung und sein "America First"-Ansatz seit seiner ersten Amtszeit bekannt. Aber in seiner zweiten Amtszeit führt er den Kurs deutlich aggressiver fort. Dass in dem 28-Punkte-Ultimatum Washingtons an die Ukraine steht, die USA wollten zwischen der Nato und Russland über ein Ende des Ukraine-Kriegs verhandeln, löste Entsetzen etwa beim kanadischen Premierminister Mark Carney aus - als ob die USA kein Nato-Mitglied mehr seien.
Zusammen mit dem G20-Boykott verstärkt sich der Eindruck, dass die USA unter Trump alleine marschieren wollen. Das löst Gegenreaktionen aus, die langsam deutlicher werden. Der Ton wird rauer. Auch die Bundesregierung forciert Bemühungen bei Rüstung oder im Digitalbereich, um sich nicht nur von China, sondern auch von den USA unabhängiger zu machen. Auch Kanzler Friedrich Merz sieht plötzlich das Ziel einer "digitalen Souveränität".
OHNE TRUMP UND XI DOMINIEREN MITTELMÄCHTE BEI G20
In Johannesburg gab es zwei Lesarten über die Bedeutung des G20-Gipfels. Die einen verweisen darauf, dass neben Trump auch China, Mexiko, Argentinien und Saudi-Arabien nicht mit ihren Chefs vertreten waren. "Weltbühne ohne Hauptdarsteller" titelte etwa Phoenix eine TV-Sendung. Die anderen wie etwa Gastgeber Ramaphosa betonen dagegen, dass bis auf die USA alle Länder auf dem Gipfel mitgearbeitet hätten - zu dem gleich 60 Regierungen eingeladen waren. Dass die ohnehin nicht bindenden Erklärungen auf G20-Gipfeln keine bahnbrechenden neuen Verabredungen brachten, ist seit Jahren typisch für die Treffen. Spätestens seit dem russischen Überfall auf die Ukraine 2022 dominierten gravierende geopolitische Spaltungen, sagt ein EU-Diplomat. Dennoch betont Kanzler Merz die Bedeutung der Gipfel, schon wegen der vielen bilateralen Gespräche - etwa mit Brasilien, Vietnam, Australien, Äthiopien, Kanada, Südkorea, Singapur oder Japan.
Ohne die Präsidenten Trump und Xi Jinping ist das G20-Treffen ein Ereignis der Mittelmächte geworden, die keine Lust auf eine Dominanz der Supermächte USA und China haben. In der Erklärung werden einerseits Themen wie Klimaschutz und Hilfe für die ärmsten verschuldeten Länder angesprochen, die mit Trump gar nicht hätten beschlossen werden können. Andererseits findet sich eine Passage über einen fairen und transparenten Welthandel, die sich als Kritik an den USA und China lesen lässt. Denn China überschwemmt mit seinen subventionierten Überproduktionen die Welt.
Die mediale Fixierung auf Trump verdeckt dabei, dass die Mittelmächte keineswegs so machtlos sind, wie oft dargestellt. Ökonomen warnen seit Langem, dass die drastischen Zollerhöhungen vor allem den USA selbst schaden. Die Welt organisiert sich handelsmäßig längst um die USA herum, deren relative Bedeutung an der weltweiten Wertschöpfung ohnehin sinkt. Die EU forciert Freihandelsabkommen mit anderen Teilen der Welt, die USA haben ihre Position als Top-Handelspartner Deutschlands bereits verloren.
"Und in Johannesburg haben die Afrikaner sehr wohl registriert, wer auf dem ersten G20-Gipfel auf dem afrikanischen Kontinent anwesend war und wer nicht", sagt ein EU-Diplomat zu Reuters. Gerade die Schwellenländer der Südhalbkugel sind empfindlich, weil sie sich von den reichen westlichen Industrieländern ohnehin schlecht behandelt fühlen.
Dabei befinden sich mittlerweile zwölf der 20 am stärksten wachsenden Volkswirtschaften in Afrika, das zudem eine Freihandelszone mit 1,3 Milliarden Menschen anstrebt. Und die Europäer wollen mit einem anschließenden EU-AU-Gipfel in Angola am Montag demonstrieren, dass sie die eigentlichen Top-Partner des südlichen Kontinents sind. Dass sie bereits heute die bei Weitem größten Investoren sind und einen Drittel des Handels der afrikanischen Länder ausmachen, wird in der EU oft vergessen.
Die G20 erhielten gerade wegen ihres Widerstands gegen US-Druck diesmal sogar seltenes Lob der Nichtregierungsorganisation Oxfam International: "Dies ist das erste Treffen von Staats- und Regierungschefs in der Geschichte, bei dem die Ungleichheit als dringliches Problem im Mittelpunkt der Tagesordnung stand", sagt Oxfam-Experte Max Lawson. Man habe sich trotz des starken Widerstands auf die Verteidigung des Multilateralismus geeinigt.
RINGEN UM DIE UKRAINE
Beim Thema Ukraine haben Kanzler Merz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron Washington klargemacht, dass der erneute Alleingang Trumps nicht funktionieren wird. Die USA haben zwar als militärische Supermacht immer noch Druckmittel in der Hand, indem sie der Ukraine den Entzug wichtiger Satellitendaten und Waffen androhen können. Aber die Europäer sind längst die Hauptunterstützer des überfallenen Landes geworden und haben entscheidende Sanktionen gegen Russland verhängt. Ohne ihre Zustimmung und Mitarbeit wird Trump nicht weit kommen.
Der US-Präsident rückte am Samstag denn auch wieder von seinem Vorschlag etwas ab - auch wenn die US-Regierung am Sonntag weiter den Eindruck vermittelte, sie alleine verhandele mit den Ukrainern. "Der US-Präsident muss erkennen, dass dies den Konflikt maßgeblich vom Nahost-Konflikt unterscheidet, bei dem die USA tatsächlich Hauptakteur bei der Organisation des Waffenstillstands waren", sagt ein EU-Diplomat.