
- von Andreas Rinke
Berlin, 25. Okt (Reuters) - Dass die Reise eines Bundesaußenministers nach China zwei Tage vor dem geplanten Abflug verschoben wird, ist für die deutsche Diplomatie sehr ungewöhnlich. Prompt hat die Entscheidung von Johann Wadephul eine heftige Debatte über den richtigen Umgang mit China ausgelöst, die mittlerweile auch für Spannungen in der schwarz-roten Koalition sorgt. Der außenpolitische Sprecher der SPD, Adis Ahmetovic, kritisiert gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters, dass dies "kein gutes Signal" sei. Dagegen kommt Zustimmung für die mit Kanzler Friedrich Merz abgestimmte Verschiebung aus den Reihen der Union - und von den Grünen.
Der Fall zeigt, dass es derzeit bei deutsch-chinesischen Abstimmungen deutlich hakt - in einer Phase, in der die ohnehin angeschlagene deutsche Industrie um Lieferungen von Seltenen Erden und Chips bangt. Eigentlich hatte Wadephul am Sonntag nach Peking fliegen wollen - quasi als Speerspitze der schwarz-roten Bundesregierung, noch vor Merz und anderen Kabinettsmitgliedern. In einem am Donnerstag veröffentlichten Reuters-Interview hatte er den ausdrücklichen Wunsch betont, mit China zusammenarbeiten zu wollen - das wegen der umstrittenen Zollpolitik der USA wieder größter deutscher Handelspartner geworden ist.
Zugleich hatte der CDU-Politiker die bekannten kritischen deutschen Positionen etwa zu Chinas Haltung zu Taiwan, Russland und im südchinesischen Meer sowie zur nötigen Diversifizierung der Wirtschaft wiederholt. Wadephul hatte zudem den Wunsch geäußert, mit der Führung in Peking über die chinesischen Exportbeschränkungen bei Seltenen Erden und die Versorgungssicherheit mit Chips reden zu wollen.
Aber bis Freitag hatte er nach Angaben des Auswärtigen Amtes nur eine Bestätigung für ein Treffen mit Außenminister Wang Yi erhalten - weshalb er den Besuch kurzentschlossen verschob. Mit dem Hinweis, dass beide Außenminister bald telefonieren würden, wollte das Auswärtige Amt einer zu dramatischen Interpretation des Vorfalls vorbeugen. Dennoch überschlugen sich einige Medien mit Überschriften wie eines angeblichen außenpolitischen "Super-GAUs der Regierung Merz".
PRINZIPIENTREUE ODER DIALOG?
Tatsächlich ist die Entscheidung nicht unumstritten: "Ich hätte es richtig gefunden, wenn Außenminister Wadephul trotzdem gereist wäre", sagt etwa Marina Rudyak, China-Expertin der Universität Heidelberg. Wadephul hätte deutsche Positionen und Wünsche auch beim Treffen mit Wang Yi vorbringen können, sagte sie Reuters. Dieser nehme in der chinesischen Führung eine sehr wichtige Stellung ein, weil er gleichzeitig Direktor der Zentralen Kommission für auswärtige Angelegenheiten ist.
Rudyak verweist zudem darauf, dass hinter dem beschränkten Gesprächsangebot möglicherweise keine Abstrafung Deutschlands oder Wadephuls, sondern praktische Probleme gesteckt hätten. Denn das chinesische Spitzenpersonal sei durch den KP-Parteitag zum neuen Fünf-Jahres-Plan, das geplante Treffen der Präsidenten Donald Trump und Xi Jinping sowie Gespräche mit der EU-Kommission sehr gebunden gewesen.
CHINA REAGIERT HINTER DEN KULISSEN EMPFINDLICH
Das sieht der außenpolitische Sprecher der Union, Jürgen Hardt, allerdings anders. "Die Reise nach China, zumal mit einer Wirtschaftsdelegation, war ein Angebot, das die chinesische Seite zu diesem Zeitpunkt leider ausschlug", sagt er Reuters. China versuche die Handelspolitik derzeit gezielt als Druckmittel einzusetzen. "Es ist völlig richtig, dass die Bundesregierung dieses Spiel nicht mitspielt", betont Hardt. Deutschland liege weiterhin an guten Beziehungen zu Peking - aber "fair und auf Augenhöhe".
Dies ist eine Anspielung auf ein offenbar als eher unfreundlich empfundenes chinesisches Verhalten hinter den Kulissen. Derzeit gebe es mit China Differenzen in grundsätzlichen Punkten, unter anderem in der Frage des Völkerrechts und der Frage fairer Wirtschaftsbeziehungen, heißt es dazu aus Regierungskreisen. Die chinesische Seite habe kaum erfüllbare Forderungen gestellt - die Bundesregierung werde ihre Grundüberzeugungen aber nicht verraten.
Tatsächlich hatte ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums am Freitag mit Bezug auf Wadephuls Reuters-Interview öffentlich gefordert: "Wir hoffen, dass Deutschland sich strikt an das Ein-China-Prinzip hält und sich unmissverständlich gegen die separatistischen Aktivitäten der 'Unabhängigkeit Taiwans' ausspricht." Wadephuls Bekenntnis zur Ein-China-Politik reicht dem zunehmend selbst- und machtbewusst auftretenden Peking offenbar nicht mehr aus - zumal man sich in Chinas Führung schon vor Wochen vergrätzt zeigte, dass Wadephul die kommunistische Führung ausgerechnet bei seinem Japan-Besuch kritisiert hatte. Dazu passt, dass in Chinas Hauptstadt ein "Museum des Widerstandskriegs des chinesischen Volkes gegen die japanische Aggression" eröffnet wurde.
BRAUCHT DEUTSCHLAND EINE NEUE CHINA-STRATEGIE?
Die Verschiebung der Reise hat in der Koalition die Grundsatzfrage aufgeworfen, wie das Verhältnis zwischen Prinzipientreue und Dialog gegenüber Peking austariert werden sollte. Schon in der Ampel-Koalition führte dies zu Spannungen zwischen der SPD und den Grünen. In der schwarz-roten Regierung kündigt sich eine ähnliche Debatte zwischen Union und der SPD an - die übrigens auch einen Parteidialog mit der KP Chinas pflegt. "Gerade in einer Phase globaler Spannungen ist der direkte Dialog mit China von großer Bedeutung", sagt der SPD-Außenpolitiker Ahmetovic Reuters. "Wir müssen die deutsche China-Strategie überdenken."