
- von Andreas Rinke
Berlin, 04. Okt (Reuters) - Die SPD fordert eine Wende in der deutschen und europäischen Politik zur Stahlindustrie, um Jobs und Unternehmen in der EU zu retten. "Wir dürfen nicht zulassen, dass die heimische Wertschöpfung abwandert, weil internationale Regeln nicht mehr funktionieren", heißt es in einem der Nachrichtenagentur Reuters vorliegenden sechsseitigen Papier zur Stahlindustrie, das der Bundesvorstand am Montag beschließen soll. "In Deutschland und gemeinsam mit unseren europäischen Partnern wollen wir deshalb ein Maßnahmenpaket vereinbaren, das verstärkt auf 'Buy European' setzt." Unterstrichen wird die strategische Bedeutung des Stahlsektors, weshalb Europa etwa für die Rüstungsproduktion nicht auf Importe aus anderen Weltregionen angewiesen sein dürfe.
Bundesfinanzminister und Vizekanzler Lars Klingbeil hatte bereits in einer europapolitischen Grundsatzrede am 24. September eine "strategische Industriepolitik" und Abnahmevorgaben wie "Buy European"-Regeln vorgeschlagen. Das Stahl-Papier der SPD formuliert diesen Ansatz nun aus. Der Stahlsektor in Deutschland stehe unter einem gewaltigen Druck, obwohl die hiesigen Unternehmen hoch innovativ und international Vorreiter bei der Umstellung auf klimafreundliche Produktion seien, heißt es in dem Papier. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) will im Oktober zu einem Stahlgipfel laden. SPD-Co-Chef Klingbeil hatte am Mittwoch Betriebsräte der Stahlbranche getroffen.
Gefordert wird, dass die EU-Kommission einen "robusten Handelsschutz" durchsetzt. Zwar wird betont, dass Deutschland eigentlich offene Märkte brauche. Aber das Marktumfeld werde von staatlich subventionierten Überkapazitäten anderer Länder und handelspolitischen Verwerfungen dominiert. "Es geht hier nicht um Protektionismus, sondern um die Durchsetzung fairer Wettbewerbsregeln und europäischer strategischer Interessen." Es brauche schnell Klarheit über eine Nachfolgeregelung für die am 30. Juni 2026 auslaufenden Kontingent-Regelungen der EU für Stahlimporte. Kurzfristig sollten zudem Handelsschutzinstrumente eingeführt werden, die die derzeitigen Importmengen signifikant reduzierten. "Im Kern bedarf es eines Zollkontingentsystems, das übermäßige Importmengen wirksam begrenzt und den Markt kontrolliert offenlässt", heißt es. Die Bundesregierung muss sich auf europäischer Ebene für ein gezieltes "Buy European"-Schema in strategischen Bereichen wie der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie oder dem Energiesektor einsetzen.
Die schwarz-rote Bundesregierung wird zudem aufgefordert, nach Inkrafttreten des Vergabebeschleunigungsgesetzes sofort die Regeln für die Beschaffung klimafreundlicher Produkte festzulegen, insbesondere bei Stahl. Notfalls müssten Exportbeschränkungen für Stahlschrott kommen, weil dieser als Rohstoff wichtig sei.
Die SPD fordert zudem ein konsequentes EU-Importverbot für russische Stahlerzeugnisse. Es müsse auch vermieden werden, dass diese über Drittländer wie die Türkei oder durch Weiterverarbeitung in Staaten wie Serbien indirekt auf den europäischen Markt kommen könnten. Mit den USA sollte ein Abkommen erreicht werden, damit wieder in "angemessenen Importkontingenten" zollfrei Stahl in die USA exportiert werden könne.
Weil der Strompreis für die Stahlindustrie trotz der beschlossenen Entlastungen immer noch zu hoch sei, müsse sich die Bundesregierung in Brüssel zudem für einen beihilferechtlichen Rahmen für einen Industriestrompreis einsetzen. Damit kein unfairer Wettbewerb mit Ländern mit niedrigeren Umweltstandards entsteht, fordert die SPD die Weiterentwicklung des CO2-Grenzausgleiches, der einen Importaufschlag für Produkte aus diesen Ländern vorsieht. Diese Importzölle sollten auch auf nachgelagerte Stahlprodukte ausgedehnt werden. Angebot und Nutzung von Wasserstoff solle weiter gefördert werden, wobei die SPD in einer Übergangsphase nicht auf der Nutzung von "grünem" Wasserstoff besteht, der aus Erneuerbaren Energien produziert wird.
Beim Übergang zu einer klimafreundlichen Stahlproduktion müssten Tarifbindung und Sozialpartnerschaft erhalten bleiben. "Staatliche finanzielle Unterstützung muss an Beschäftigungssicherungsvereinbarungen gebunden sein", heißt es in dem Papier. Öffentliche Aufträge sollten an Firmen mit Tarifverträgen vergeben werden. "Hierfür brauchen wir ein zügiges Inkrafttreten des Tariftreuegesetzes", heißt es in Richtung des Koalitionspartners CDU/CSU.