Berlin, 28. Jul (Reuters) - Die EU und die USA entschärfen ihren monatelangen Handelsstreit mit einer Einigung, die den Vereinigten Staaten deutlich mehr Vorteile bringt. US-Präsident Donald Trump sagte am Sonntag nach kurzen Verhandlungen mit EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen, die Europäische Union werde pauschale Zölle von 15 Prozent auf die meisten Exporte in die USA zahlen müssen. Ökonomen sagten in ersten Reaktionen:
RALPH SOLVEEN UND VINCENT STAMER, COMMERZBANK:
"Allerdings bleibt abzuwarten, ob sich beide Seiten am Ende auch auf eine einheitliche Interpretation der bisher eher generellen Abmachungen einigen können. Hier kann es sicherlich immer wieder zu Reibereien und damit neuerlicher Unsicherheit kommen. Allerdings sollte man darüber nicht vergessen, dass durch dieses Abkommen deutlich höhere US-Zölle auf die Importe aus der EU festgeschrieben werden. So wird der durchschnittliche US-Zollsatz auf Lieferungen aus der EU um mehr als zehn Prozentpunkte im Vergleich zum letzten Jahr steigen. Dies wird vielen Unternehmen den Zugang zu ihrem wichtigsten Auslandsmarkt, in den mehr als 500 Milliarden Euro bzw. 20 Prozent der EU-Exporte gehen, merklich erschweren. Wir gehen davon aus, dass dies die EU-Exporte in die USA über die kommenden zwei Jahre um etwa ein Viertel drücken wird.
Dies dürfte für sich genommen das Wirtschaftswachstum in der EU merklich bremsen. Zwar dürfte dieser Effekt durch die zunehmenden Impulse der Geldpolitik und durch die expansive Finanzpolitik in Deutschland mehr als kompensiert werden. Wegen schwächerer Exporte in die USA und die zahlreichen strukturellen Probleme dürfte die sich abzeichnende Belebung der Konjunktur aber verhalten ausfallen."
CYRUS DE LA RUBIA, CHEFVOLKSWIRT HAMBURG COMMERCIAL BANK:
"Insgesamt ergibt sich der Eindruck, dass die EU hier noch mit einem blauen Auge davon kommt. Das Ergebnis dürfte aber sowohl in der EU als auch in den USA auf das Wirtschaftswachstum dämpfend wirken. (...) Das größte Aufatmen dürfte in der Autoindustrie zu vernehmen sein, denn statt des drohenden Zollsatzes auf Personenkraftwagen von 27,5 Prozent gilt für diesen Sektor jetzt ein deutlich niedrigerer Zollsatz von 15 Prozet. Dass dies als gutes Ergebnis gesehen wird, zeigt, dass Trump hier aus US-Sicht gut verhandelt hat, denn vor der Amtsübernahme von Donald Trump galt ein Zollsatz von 2,5 Prozent. (...) Die Tatsache, dass die EU die meisten Güter aus den USA in Zukunft zollfrei einführen soll, erweckt zunächst den Eindruck eines aus EU-Sicht schlechten Verhandlungsergebnisses. Bedenkt man, dass vor Trumps Amtsübernahme die gegenseitigen Zölle im Durchschnitt im niedrigen einstelligen Bereich lagen, bedeutet dieser Teil der Vereinbarung allerdings keine dramatische Verschärfung des Wettbewerbs mit Importgütern aus den USA. (...) Unter dem Strich verschlechtert sich aber die Wettbewerbssituation für die meisten Sektoren signifikant. Denn zu der Erhöhung der Zölle kommt noch die Aufwertung des Euro hinzu, der derzeit rund acht Prozent über dem durchschnittlichen Wechselkurs des Vorjahres notiert."
UWE HOHMANN, BANKHAUS METZLER:
"Ein Satz von 15 Prozent stellt für viele europäische Exporteure wohl keine unüberwindbare Hürde dar. Dennoch sind die Zölle ein Hemmschuh für die Exportindustrie und dürften sowohl das Wachstum als auch die Inflation in der EU dämpfen. Bedenkt man zudem, dass die EU-Verhandler zu Beginn noch auf eine beidseitige Absenkung aller Industriezölle auf null gehofft hatten, könnte so mancher den Deal nun als Niederlage für Brüssel werten. Doch auch für die USA birgt der Deal Risiken – allen voran, weil höhere Zölle die dortige Inflation anheizen dürften."
THOMAS GITZEL, CHEFVOLKSWIRT VP BANK:
"Gemessen an der Drohung von Donald Trump, ab 1. August Zölle in Höhe von 30 Prozent erheben zu wollen, ist der nun vereinbarte Zollsatz von 15 Prozent ein gutes Ergebnis. Vor allem, auch weil für die Automobilindustrie keine zusätzlichen Extra-Zölle vorgesehen sind. Allerdings wird ein Zollsatz von 15 Prozent nicht spurlos an der europäischen Exportwirtschaft vorbeigehen. Dies gilt insbesondere für Deutschland, die USA sind hierbei wichtigster Einzelexportmarkt.
Das deutsche BIP könnte sich jährlich um knapp 0,2 Prozent reduzieren, für die EU könnte sich die jährliche Schmälerung auf 0,1 Prozent belaufen. Die Wachstumsbelastungen fallen in eine Zeit, in der ohnehin die europäischen Schlüsselindustrien unter enormen Druck stehen.
Doch um auf das Positive zurückzukehren: Wichtig ist zunächst, dass jetzt Klarheit herrscht. Die Unsicherheiten werden reduziert, zumal die USA aktuell auch mit weiteren Handelspartnern Abkommen abschließen. Die Unternehmen können nun kalkulieren und auch ihre Lieferketten neu sortieren."
CARSTEN BRZESKI, ING-CHEFVOLKSWIRT:
"Eine Eskalation der Handelsspannungen zwischen den USA und der EU wäre ein ernstes Risiko für die Weltwirtschaft gewesen. Dieses Risiko scheint abgewendet worden zu sein. Für die EU ist die Vereinbarung wahrscheinlich nahezu das Optimum, das erreichbar war. In den vergangenen Tagen hatte die EU selbst einen Satz von 15 Prozent vorgeschlagen.
Die Vereinbarung entspricht auf den ersten Blick unserem Basisszenario eines effektiven Zollsatzes auf europäische Waren von annähernd 20 Prozent. Wir wissen jedoch auch, dass ein Handelsabkommen erst dann in trockenen Tüchern ist, wenn alle unterschrieben haben. Im europäischen Kontext bedeutet dies immer noch das Europäische Parlament und alle nationalen Parlamente. Schlimmere Szenarien scheinen vorerst vermieden worden zu sein, und das sind hervorragende Nachrichten."