
- von Andreas Rinke -
Berlin, 12. Nov (Reuters) - Ende Oktober setzten CDU und AfD zwei Zeichen, die bis heute nachwirken: Im Konrad-Adenauer-Haus verkündete CDU-Chef Friedrich Merz eine härtere Auseinandersetzung mit und Abgrenzung von der AfD. Zeitgleich besuchte AfD-Co-Chefin Alice Weidel Budapest und ließ sich dort mit dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán ablichten. Dies ist Teil einer Offensive der rechten Partei, außenpolitisches Profil zu gewinnen und internationale Kontakte mit Gleichgesinnten zu suchen - bei Rechtsaußen-Parteien in Europa, aber auch in den USA oder Russland.
Allerdings haben gerade die Russland-Kontakte in den vergangenen Tagen gezeigt, dass dies auch erhebliche Risiken birgt, wie der Bochumer Politologe Oliver Lembcke sagt. Zudem wird plötzlich deutlich, dass die beiden Parteichefs Weidel und Tino Chrupalla über den außenpolitischen Kurs alles andere als einig sind.
RUSSLANDKONTAKTE ALS RISIKO
So maßregelte Co-Fraktionschefin Weidel am Dienstag Abgeordnete, die in der kommenden Woche nach Russland reisen sollten. Der Abgeordnete Rainer Rothfuß, der auch Hardliner Dmitri Medwedew treffen wollte, muss hierbleiben. "Ich selbst würde dort nicht hinreisen. Ich würde es auch niemandem empfehlen", sagte Weidel vor der Fraktionssitzung. Sie fürchtet, dass sich die Partei angreifbar macht. Denn der Ton hat sich deutlich verschärft: In Thüringen warf Innenminister Georg Maier (SPD) der Partei vor, mit parlamentarischen Anfragen über Infrastruktur für Russland Spionage zu treiben. Die AfD weist die Vorwürfe energisch zurück.
Besonders empört reagiert man in der AfD über die Abgrenzungsforderungen von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und den Vorwurf von Unionsfraktionschef Jens Spahn, der sagte: "Wladimir Putin würde AfD wählen." Weidel müsse für Aufklärung bei den Anfragen sorgen. "Sie macht sich sonst mindestens mitschuldig an einem möglichen Landesverrat." SPD-Fraktionschef Matthias Miersch sprach mehrfach davon, dass die Partei die "fünfte Kolonne" Moskaus sei.
Der Umgang mit Russland sorgt aber auch intern für Differenzen. Weidel hatte vor wenigen Wochen Russland ausdrücklich für Luftraumverletzungen der EU- und Nato-Partner Estland und Polen kritisiert. Chrupalla betonte dagegen am Dienstag erneut, dass von Russland keine Gefahr für Deutschland ausgehe. "Mir hat er nichts getan", sagte er über Präsident Wladimir Putin, auch wenn er den Angriffskrieg auf die Ukraine verurteilte. Im Übrigen könne "auch Polen für uns eine Gefahr sein".
Der Einfluss der ostdeutschen AfD-Politiker ist gerade beim Thema Krieg und Frieden groß. So verzichtete die Fraktion nach langem Ringen auf eine eigene Position in der Wehrdienstdebatte, weil in den ostdeutschen Ländern sowohl das Militär als auch die Ukraine-Hilfe besonders kritisch gesehen werden. Bis ins CDU-Lager hinein gibt es im Osten mehr Verständnis für russische Positionen. Davon profitieren bei Wahlen und Umfragen AfD, BSW und Linke. Das Credo ist, dass man nur mit Putin reden müsse, um den Krieg in der Ukraine zu beenden. Das Problem für die AfD: Selbst US-Präsident Donald Trump fühlt sich seit dem erfolglosen Alaska-Gipfel zunehmend von Putin getäuscht.
WERBEN MIT KONTAKTEN ZUR US-REGIERUNG
Dabei will die AfD seit Trumps Amtsantritt vor allem die US-Karte ausspielen: Es gibt einen wahren Besucherstrom nach Washington. Am meisten Aufmerksamkeit bekam zuletzt die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Beatrix von Storch für ihre Visite, bei der sie nach eigenen Angaben unter anderem Mitarbeiter Trumps und von Vizepräsident JD Vance traf. Seit Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz angebliche Demokratie-Defizite in Deutschland bemängelte, sieht die AfD die US-Regierung als Verbündete. Der Milliardär Elon Musk hatte der Partei ohnehin seine Unterstützung zugesagt und nutzt dafür seine Plattform X.
Auch wenn Merz einen engen Kontakt zu Trump pflegt, versucht die AfD, sich als eigentlichen Ansprechpartner der US-Regierung in Deutschland zu präsentieren. Während die Bundesregierung oft "ideologisch motivierte Außenpolitik betreibt und Gesprächskanäle zu wichtigen Akteuren kappt", suche die AfD bewusst den Dialog, betont auch AfD-Fraktionsvizechef Stefan Keuter.
Das ist auf den ersten Blick verblüffend, weil die AfD gerade im Osten keine proamerikanische Partei ist und die E-Autos Musks kritisch sieht. Der aus Ostsachsen stammende Chrupalla mutmaßte am Dienstag im ZDF sogar, dass die USA an einem Regimewechsel in Moskau arbeiten könnten.
Der US-Präsident schadet zudem mit seiner Zollpolitik auch deutschen Arbeitnehmern. "Aber solange Trump im Amt ist, wird die Nähe gesucht", sagt der Bochumer Politologe Lembcke. Erstens stehe der US-Präsident wie die AfD für "Disruption", also radikale Veränderungen. Zweitens sei er wie die Partei entschieden migrations-, justiz- und medienkritisch. Das zähle mehr als alle anderen Positionen. Drittens übe die Trump-Regierung genau dieselbe Form an Kritik an der Bundesregierung wie die AfD und beklage eine angebliche Unterdrückung Andersdenkender. Die US-Regierung, die ihrerseits rechtsgerichtete Partner in aller Welt sucht, nutze die Kontakte gerne.
ZUFLUCHT BEIM "VISIONÄR" ORBÁN
Die dritte Ebene sind Kontakte in Europa. Weidels Reise nach Budapest findet Lembcke folgerichtig. "Die Mehrheitsverhältnisse in der EU und im Europäischen Parlament scheinen sich in die Richtung zu ändern, die auch Orbán vertritt. Ziel ist eine Lockerung der EU Richtung eines Bündnisses von Nationalstaaten." Orbán gehört seit Jahren zu den schärfsten Kritikern der EU und deren Unterstützung für den Abwehrkampf der Ukraine gegen Russland. "Weidel kann nun Nähe zu Orbán demonstrieren", meint Lembcke. Der Besuch überdeckt, dass die AfD im EU-Parlament sogar anderen rechtsgerichteten Parteien zu radikal ist.
Genau da will die Union die AfD stellen. Merz will stärker thematisieren, was passieren würde, wenn die AfD an die Macht käme. Die Partei stelle sich gegen EU, Europäische Währungsunion, Nato und Wehrpflicht. "Sie steht gegen alles, was die Bundesrepublik Deutschland in den letzten acht Jahrzehnten groß und stark gemacht hat", kritisierte der CDU-Chef. Schon deshalb könne es keine Zusammenarbeit geben.