
- von Markus Wacket
Berlin, 07. Nov (Reuters) - In die lange festgefahrenen Verhandlungen über ein neues Wehrdienstgesetz kommt Regierungs- und Parlamentskreisen zufolge Bewegung. "Es gibt keine Einigung, aber es gibt Fortschritte", sagte ein Teilnehmer der Gespräche am Freitag der Nachrichtenagentur Reuters. In dieser Woche trafen sich in unterschiedlichen Runden täglich Vertreter von Verteidigungsministerium und Parlament. Auch Minister Boris Pistorius sagte bei der Bundeswehrtagung in Berlin: "Ich bin zuversichtlich, dass wir in den nächsten Tagen eine Einigung erzielen." Vor drei Wochen hatte die Debatte über das Gesetz im Eklat geendet: Eine vierköpfige Arbeitsgruppe aus Union und SPD hatte sich auf Änderungen am Entwurf von Pistorius verständigt. Dies traf jedoch sowohl bei einer SPD-Fraktionssitzung als auch bei Pistorius selbst auf Ablehnung. Die geplante gemeinsame Pressekonferenz wurde abgesagt.
Kernpunkt waren Vorschläge zu einem Los-Verfahren, falls sich nicht genügend Freiwillige für die Bundeswehr finden. Demnach würden per Zufallsprinzip junge Männer aus einem Jahrgang für eine Musterung ausgelost, die dann noch einmal überzeugt werden sollten, freiwillig zu dienen. Wenn erfolglos, sollte dem Konzept zufolge in einer zweiten Losrunde die fehlenden Rekruten bestimmt werden. Vorgeschaltet zu diesem Zwang wäre aber ein Regierungsbeschluss und ein Bundestagsentscheid.
PARLAMENTSKREISE: PISTORIUS HAT FREIE HAND BEI MUSTERUNG
Pistorius hatte betont, für ihn sei eine flächendeckende Musterung eines Jahrgangs ab Mitte 2027 entscheidend. Ein Losverfahren lehnt er ebenso wie etwa Generalinspekteur Carsten Breuer ab. Das Ministerium will lieber diejenigen heranziehen, die am besten in die Anforderungen der Armee passen.
In der Arbeitsgruppe von Union und SPD wird dagegen darauf verwiesen, dass man dem Minister freie Hand lasse, wieviele Männer eines Jahrgangs gemustert werden. Dies hänge von den Kapazitäten der Bundeswehr ab, nachdem Wehrpflicht und Musterung 2011 ausgesetzt wurden. Dieser Punkt sei daher vergleichsweise leicht lösbar. Das Los-Prinzip sei zudem gerecht, eine bessere Lösung bislang nicht auf dem Tisch.
Die Wehrgerechtigkeit ist ein zentrales Thema in der Debatte, das auch bei der Expertenanhörung im Bundestag am Montag eine Rolle spielen wird: Ein Jahrgang 18-Jähriger umfasst derzeit etwa 300.000 Männer, die die Bundeswehr aber gar nicht unterbringen und ausbilden könnte. 2026 sind zunächst lediglich 20.000 Rekruten geplant, was sich dann jährlich steigern soll. In der Union, aber auch bei Verteidigungsexperten, gibt es erhebliche Zweifel, ob die Zahlen aus dem Gesetzentwurf erreicht werden.
PISTORIUS MUSS SICH AN ZAHLEN MESSEN LASSEN
Für Konfliktstoff sorgt Gesprächsteilnehmern zufolge weiter, dass von den Parlaments-Experten vom Ministerium genauere Planzahlen für den Aufwuchs verlangt werden. Die Freiwilligen sollen zwar mindestens sechs Monate dienen. Damit können sie jedoch lediglich für Wach- und Begleitdienste eingesetzt werden. Die Hoffnung ist, dass viele ihren Dienst verlängern. Doch genau dazu müsse das Ministerium Zahlen liefern und im Gesetz verankern, fordern Parlamentarier. Beispielsweise: Wieviele Rekruten stocken später die aktive Truppe auf, können also auch kämpfen? Wer kann als Techniker etwa für die Instandhaltung eingesetzt werden? Was braucht die Bundeswehr für IT-Experten? Ähnliches gelte für Reservisten, die mit Übungen wieder für einen aktiven Dienst bereitstehen könnten. Wieviele kommen aus ihren Reihen dazu?
Für Pistorius bedeuten Zahlen jedoch ein Risiko: Er könnte an ihnen gemessen und ein Verfehlen ihm zur Last gelegt werden. Ferner könnte dies schnell Auslöser für eine Debatte über einen zwangsweisen Einzug sein. Die SPD setzt aber auf Freiwilligkeit. Pistorius deutete auf der Bundeswehrtagung an, dass es zusätzliche Prognosen geben werde. Ein Kompromiss mit den Parlamentariern könnte auch ein Korridor sein, in dem sich die Zahl der neugewonnenen Soldaten bewegen müsse, hieß es aus dem Ministerium.
Derzeit hat die Bundeswehr etwa 182.000 aktive Soldaten und 100.000 Reservisten. Letztere sollen laut Pistorius vor allem über den Wehrdienst verdoppelt werden. Dazu muss die aktive Truppe auf 260.000 anwachsen, um auf die der Nato bis Mitte der 30er Jahre zugesagten 460.000 Soldaten zu kommen.