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HINTERGRUND-Geld, Kunden, Strom - Ringen um die KI-Fabriken der Zukunft

ReutersJul 24, 2025 6:00 AM
  • Deutschland will ein bis zwei KI-Factories aufbauen
  • In EU wird Ringen auf höchster Ebene erwartet
  • Schwächen konkurrierende Konsortien deutsche Chancen?
  • Gigantische Strommengen nötig für Rechner
  • Inferenz-Zentren als "Trostpreis"?

- von Andreas Rinke und Hakan Ersen

- Am Ende war selbst die EU-Kommission überrascht: Auf die Aufforderung zur Interessensbekundung für den Bau sogenannter KI-Gigafactories in Europa sammelte sie gleich 76 Antworten ein. Dies zeigt zweierlei: Diese besonders leistungsstarken Rechenzentren mit 100.000 Hochleistungsprozessoren und dem Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) werden von Wirtschaft und Wissenschaft als essentiell für die Zukunft angesehen. Aber angesichts der Tatsache, dass nur vier bis fünf Gigafactories tatsächlich die milliardenschwere Förderung von je bis zu zwei Milliarden Euro bekommen können, wird es ein Hauen und Stechen auf höchster politischer Ebene geben. Denn die Angst auch der Regierungen ist groß, ohne KI-Factory den technologischen Anschluss zu verpassen.

Kanzler Friedrich Merz äußerte daher am Dienstag vorsorglich die Hoffnung, Deutschland werde "ein oder zwei" der Factories erhalten. In Frankreich ist Präsident Emmanuel Macron persönlich involviert. Und auch die Ministerpräsidenten Hendrik Wüst (NRW) und Markus Söder (Bayern) sehen die KI-Gigafactories als Chefsache. "Da unklar ist, nach welchen Kriterien die EU-Kommission eigentlich entscheiden wird, ist zu befürchten, dass am Ende der politische Einfluss erheblich ist", sagt ein Regierungsvertreter in Berlin zu Reuters.

Das Thema ist so heiß, dass es auch beim Investitions-Gipfel der Unternehmenschefs im Kanzleramt am Montag ausdrücklich angesprochen wurde. Deutsche TelekomDTEGn.DE-Chef Tim Höttges unterstrich nach Informationen von Reuters aus Teilnehmerkreisen die Notwendigkeit, dass Deutschland bei diesem technologischen Schritt dabei sein müsse. Europa liegt gegenüber den USA und China bei der Entwicklung Generativer KI wie ChatGPT oder DeepSeek ohnehin weit zurück. Von der Verteidigungs- bis zur Pharma- und Autoindustrie werden KI-Gigafactories künftig gebraucht, um komplizierte Rechenmodelle für die Produktentwicklung oder Forschung zu betreiben.

BEWERBER MÜSSEN KONSORTIEN BILDEN

Die nötigen Investitionen von geschätzten fünf bis sechs Milliarden Euro je Einheit sind so groß, dass sie - anders als in den USA oder in China - in Europa nur von mehreren Partnern gemeinsam gestemmt werden können. Deshalb müssen sich Konsortien bilden - möglichst mit europäischen Partnern, weil man eine stärkere Unabhängigkeit von den USA und China anstrebt.

Die Bundesregierung hat angekündigt, dass sie bis Ende des Jahres mit dafür sorgen wolle, dass vielleicht zwei oder drei schlagkräftige deutsche Bewerbungen übrig bleiben. Ambitionen als Konsortialführer haben etwa die Schwarz-Gruppe, die Deutsche Telekom und Cloud-Anbieter IonosIOSn.DE. Daneben wirbt Bayern damit, für eine eigene Gigafactory ein Netz an Rechenzentren, Forschungseinrichtungen und Unternehmen zusammengestellt zu haben. Besonders begehrt sind als Partner Wissenschaftszentren wie Jülich, das mittlerweile über den weltweit viertschnellsten Rechner mit immerhin 25.000 KI-Prozessoren verfügt.

KUNDEN SIND ALLES - WER KAUFT RECHENLEISTUNGEN?

Mindestens so wichtig wie Geld und Partner ist am Ende der Kundenstamm. Denn nur wenn sehr schnell große Datenmengen von Firmen oder Wissenschaftseinrichtungen eingespeist werden, rentieren sich die Milliardeninvestitionen. Deshalb werben Konsortialführer gerne mit der Zahl der Firmen und Forschungsstätten, die mit ihnen kooperieren wollen.

Telekom-Chef Höttges appellierte am Montag nach Teilnehmerangaben aber auch an den Staat, dass er unbedingt Kunde werden müsse. Das würde eine Grundauslastung garantieren, schon weil der Staat über gigantische Datensätze verfügt.

Kanzler Merz hat die Mahnung anscheinend gehört. "Ich bitte alle Institutionen, Kliniken, staatliche Institutionen, Unternehmen, dann auch wirklich diese Rechenkapazitäten hier bei uns zu lassen, sie hier bei uns auf die Cloud zu laden", mahnt er am Dienstag. Nur dann könne man ausreichend deutsche und europäische Autonomie in Forschung und Entwicklung erreichen.

LAGE IST ALLES - IN DEUTSCHLAND UND EUROPA

Gigafactories haben aber einen extrem hohen Energiebedarf. Deshalb wird die Ansiedlung meist dort favorisiert, wo es bereits Starkstromnetze oder Energiequellen gibt. Die Schwarz-Gruppe baut etwa bereits ein Rechenzentrum im brandenburgischen Lübbenau am Standort eines Dampfkraftwerks. Auch hier zählt die Zeit: Denn die mögliche Förderung der EU ist wegen des nötigen Tempos im internationalen Wettbewerb bis 2027 befristet - man muss also eigentlich auf vorhandener Infrastruktur aufbauen.

Dazu kommt, dass die EU-Kommission auch nach Meinung von Merz auf eine regionale Ausgewogenheit achten muss. Bisher gilt als ausgemacht, dass Frankreich eine Gigafactory für sich beansprucht, Deutschland mindestens eine. Dänemark gilt mit seinem leistungsfähigen königlichen Rechenzentrum in Kopenhagen als heißer Kandidat - ebenso wie eine Bewerbung in Spanien mit einem großen Industrieverbund. Obwohl es Bewerbungen aus Polen und Tschechien gibt, könnte Osteuropa leer ausgehen. Das will Merz nach eigenen Angaben aber verhindern. Die NRW-Bewerbung um die Deutsche Telekom wiederum buhlt damit, dass sie auch Belgien und die Niederlande auf ihrer Seite hat - also gar kein rein deutsches Projekt sei.

Offen ist, ob in Deutschland Länderinteressen bestimmend sein werden. So will Bayern unbedingt eine KI-Factory aufbauen. In anderen Landesteilen ist das Misstrauen schon jetzt groß, dass die federführende Forschungs- und Technologieministerin Dorothee Bär (CSU) dafür sorgen könnte, die deutschen Bewerbungen in diese Richtung zu steuern.

MÜSSEN ALLE ALLES MACHEN?

Mittlerweile gibt es Sorgen, dass die Diskussion in Deutschland mit mehreren Bewerbungen und widerstreitenden Interessen kontraproduktiv sein könnte. "Es stellt sich wirklich die Frage, ob alle alles machen sollten", sagte ein hochrangiger Vertreter aus dem Verhandlungsprozess. "Das könnte dazu führen, dass wir nirgends Weltspitze werden." So könnte man etwa den heute schon mit Abstand leistungsstärksten Rechner in Jülich für eine KI-Factory nutzen, in Garching weiter das Quantencomputing vorantreiben und den Hochleistungsrechner in Stuttgart etwa für die Autoindustrie nutzen. Dies sehen einige Bewerber anders.

Mehrere Gesprächspartner bringen aber bereits den Begriff von Inferenz-Zentren als "Trostpreis" ins Spiel. Mit Inferenz bezeichnen Fachleute den Betrieb einer bereits trainierten KI. Wenn am Ende nur eine KI-Gigafactory in Deutschland die milliardenschwere EU-Förderung erhalten sollte, in der ein neues KI-Basismodell entwickelt werden kann, könnten die anderen Bewerber diese Software in ihren Rechenzentren laufen lassen - jeweils angepasst etwa für die Pharma- oder Verteidigungsfirmen. Dies sei für den Industriestandort Deutschland möglicherweise die bessere Struktur. Und damit könne man viel Geld verdienen.

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