- von Andreas Rinke
Rom, 10. Jul (Reuters) - Friedrich Merz erlebt derzeit ein Wechselbad der Gefühle. Am Mittwoch musste er sich noch Kritik von AfD-Chefin Alice Weidel in der Debatte über den Etat des Kanzleramtes anhören: "Schön, dass Sie auf Ihrer Realitätsflucht durch die Gipfel und Hauptstädte dieser Welt noch einmal Zwischenstation in Deutschland eingelegt haben", hatte Weidel erklärt. Merz wies das zurück. Aber tatsächlich muss er seit dem Amtsantritt nicht nur wegen der üblichen Antrittsbesuche viel zwischen In- und Ausland pendeln. So stand am Donnerstag eine Ukraine-Wiederaufbaukonferenz in Rom auf seinem Programm. Am Freitag der Bundesrat und eine wichtige Abstimmung im Bundestag.
Nur reagiert der CDU-Vorsitzende zunehmend gereizt über das Label "Außenkanzler", das ihm Kritiker anheften wollen. "Wenn wir uns um die Ukraine kümmern, dann kümmern wir uns auch um uns", betonte er am Donnerstag in Rom. "Das ist hier keine altruistische Leistung an ein Land in Not. Sondern das ist die gemeinsame Verteidigung unserer politischen Freiheitsordnung in Europa." Der von Russland vom Zaun gebrochene Krieg beeinflusse Wachstum, die Freiheit der Märkte, die Energiesicherheit bis hin zu den "außergewöhnlichen Belastungen unserer Sozialsysteme durch Kriegsflüchtlinge", sagte Merz ungefragt. "Deswegen ist es auch wenig hilfreich, zwischen unseren äußeren Interessen und den inneren Interessen unseres Landes zu unterscheiden. Deutschlands Zukunft ist mit der Zukunft der Ukraine eben auf diese Weise sehr eng verbunden."
Auch diese Bemerkung zielt auf AfD-Chefin Weidel, die ihm vorgeworfen hatte, ein "Papierkanzler" zu sein, der im Ausland "Weltmacht" spiele, aber in Berlin vor dem Koalitionspartner SPD kusche. Merz wiederum hört dabei im Gegenteil bei jedem internationalen Treffen, wie groß die internationalen Erwartungen an Deutschland tatsächlich sind. Denn spätestens seit der Lockerung der Schuldenbremse in der EU ist Deutschland das einzige große Land, das noch über finanziellen Spielraum verfügt.
Dieselbe große Auswirkung auf Deutschland gebe es auch bei anderen Themen wie dem EU-US-Zollstreit, heißt es in der Regierung. Denn die schwarzrote Regierung könne noch so viele Reformen im Inland anpacken: Wenn US-Präsident Donald Trump hohe Einführzölle erhebe, treffe dies die deutsche Wirtschaft hart. Das zarte Pflänzchen des Aufschwungs könnte sofort wieder eingehen. Also telefoniert Merz derzeit täglich mit internationalen Staats- und Regierungschefs.
Nur: Wenn in inländischen Debatten wie um die Stromsteuer, die Richterwahl oder das Bürgergeld die Emotionen hochkochen, geht der Blick der Öffentlichkeit sofort zum Kanzler. Auch in Rom wurde er danach gefragt, ohne aber aus dem Ausland zu der Richterwahl im Bundestag am Freitag wirklich Stellung zu nehmen.
Tatsächlich zeigten die vergangenen Tage, wie stark verwoben die Themen derzeit sind in einer globalisierten Welt, aber vor allem nach dem russischen Angriff auf die Ukraine. Am Mittwoch saß der Kanzler erst stundenlang im Bundestag, wo er nach der Debatte am Morgen dann auch noch mittags Rede und Antwort bei der Regierungsbefragung geben musste. Am Nachmittag empfing er Nato-Generalsekretär Mark Rutte, wobei es wieder um die Ukraine, aber eben auch die Finanzierung der Bundeswehr ging. In jeder Rede holt Merz deshalb erst einmal aus, um den Zuhörern klar zu machen, wie eng alles zusammenhängt.
Das dürfte auch am Freitag der Fall sein, wenn Merz in seiner ersten Rede im Bundesrat um die Zustimmung zum sogenannten Investitions-Booster-Paket wirbt - und wieder auf die Ukraine und den Zollstreit eingehen muss.