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HINTERGRUND-Das große Grummeln - In Union und SPD wächst der Frust

ReutersJun 26, 2025 11:53 AM
  • Union probt Aufstand bei Stromsteuersenkung
  • In Koalition schwelen Konflikte - einige brechen auf
  • Auch Außenpolitik zehrt an Nerven
  • Union sieht Sozialreformen als Bruchstelle

- von Andreas Rinke -

Berlin, 26. Jun (Reuters) - Gut 50 Tage ist die schwarz-rote Koalition im Amt. Im Eiltempo beschließen Union und SPD vor der Sommerpause Gesetze, damit die Bürger nach den Worten von Kanzler Friedrich Merz und Vizekanzler Lars Klingbeil spüren, dass sich etwas geändert hat in Deutschland. Doch spätestens seit dieser Woche wird deutlich, dass der Grad an Genervtheit in der Koalition deutlich gestiegen ist - übereinander, aber auch über die eigenen Reihen, wie aus Gesprächen mit mehr als einem Dutzend Koalitionspolitikern hervorgeht.

Noch verkneifen sich die meisten Politiker öffentliche Kritik. Aber wegen steigender Umfragewerte gehen einige Christdemokraten in die Offensive. Erstmals seit Regierungsantritt wird in vertraulichen Gesprächen auch darüber gesprochen, dass die schwarz-rote Koalition an einen Bruchpunkt kommen könnte. "Wir müssen einfach sehr viel schlucken", sagt ein hochrangiger CDU-Politiker. Ähnlich klingt es bei der SPD, die aber wegen festgefrorener Umfragewerte eigentlich keine Eskalation will.

STROMSTEUER

Das jüngste Beispiel ist der Streit über die Entlastung bei der Stromsteuer. Mit der Verabschiedung des Haushalts 2025 im Kabinett ist klar, was nach Ansicht der Regierung nicht geht: eine Entlastung der Bürger bei der Stromsteuer zum 1. Januar. Zunächst soll sie nur für Firmen auf den in der EU möglichen Mindestbetrag abgesenkt werden. Dagegen gibt es Widerstand von CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann bis zu NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst, der Klingbeil vor einem Bruch des Koalitionsvertrages warnt. Der Chef des Arbeitnehmerflügels CDA, Dennis Radtke, schlägt vor, lieber die erneute Erhöhung der Mütterrente zu streichen - die aber die CSU unbedingt durchbringen will. Mühsam versuchen die Fraktionsspitzen von Union und SPD, das Problem zu lösen - bei dem auch Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) mangelnde Sensibilität für ihre Partei vorgeworfen wird.

DEAL MIT DEN LÄNDERN

Damit der Bundesrat dem sogenannten Investitionsbooster - also bessere Abschreibungsmöglichkeiten für Firmen und eine niedrigere Körperschaftsteuer ab 2028 - zustimmt, braucht die Regierung die Zustimmung der Länderkammer. Und die Länder haben durchgesetzt, dass es einen vollständigen Ausgleich für Steuerausfälle für die Kommunen geben soll. Das wird im Prinzip von allen akzeptiert - anders als die ebenfalls vereinbarten Ausgleichszahlungen an die Länder. Doch Unionsfraktionschef Jens Spahn spricht nun von mehr als drei Milliarden Euro, die jährlich zusätzlich im Bundeshaushalt fehlen - just zu dem Zeitpunkt, an dem angeblich kein Geld für die Entlastung der Bürger da ist. Dies verärgert CDU-Wirtschafts- und Finanzpolitiker. Dabei schwingt in der Union auch der Vorwurf mit, dass Merz, Kanzleramtschef Thorsten Frei und Klingbeil die Erfahrung fehle, wie man die stets geldfordernden Ministerpräsidenten in die Schranken weist.

MIGRATION

Am Freitag wird der Bundestag über das Ende des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte abstimmen, also Migranten, die weder Flüchtlingsschutz noch Asylberechtigung haben. In der SPD-Fraktion regt sich Widerstand. Schon der gescheiterte erste Wahlgang bei der Kanzlerwahl war ein Warnschuss, dass die Mehrheit von zwölf Stimmen für die Regierung nicht unbedingt Sicherheit bietet. Die SPD hat zwar beim Thema Migration bisher weitgehend mitgespielt. Aber nicht wenige Sozialdemokraten werfen Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) hinter vorgehaltener Hand vor, mit Zurückweisungen an Grenzen unnötig EU-Nachbarn verärgert zu haben.

BÜRGERGELD

Sehr schlecht kam in der Union wiederum an, dass die neue Arbeitsministerin Bärbel Bas sagte, dass beim Bürgergeld kaum gespart werden könne. Denn Einsparungen zählten zu den Wahlversprechen der Union. Umgekehrt sticheln viele Sozialdemokraten, dass CDU und CSU gerade bei den Finanzen langsam in der Realität aufwachten. Deshalb habe Merz noch vor seiner Vereinigung eine Kehrtwende bei der Schuldenbremse hingelegt - die er nun etwa auf dem Nato-Gipfel als sein Verdienst verkauft habe.

AUSSENPOLITIK

Dass Merz insgesamt eine gute Presse gerade für seine außenpolitischen Auftritte bekommt, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es hinter den Kulissen erhebliche Diskussionen auch auf diesem Gebiet gibt - in alle Richtungen. Bei der SPD regt man sich einerseits über Äußerungen des Kanzlers auf, etwa dass Israel im Iran die "Drecksarbeit" für die Europäer mache. Andererseits gibt es in der SPD Spannungen zwischen den Unterzeichnern des sogenannten Manifests zur Ukraine-Politik und der Partei- und Fraktionsführung. Verteidigungsminister Boris Pistorius wiederum steht mit seinen Vorstellungen zur Wehrpflicht näher bei der Union als bei SPD-Fraktionschef Matthias Miersch.

Auch in der Union gibt es keine Außenpolitik aus einem Guss. Zwar stimmen sich Merz und Außenminister Johann Wadephul eng ab. Aber vor allem CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann fordert eine bedingungslose Gefolgschaft gegenüber Israel und US-Präsident Donald Trump. Immer wieder wird gegen den als liberal geltenden Wadephul gestichelt, vor allem aus Bayern. Demonstrativ lobt dagegen SPD-Fraktionschef Miersch den Außenminister.

ETLICHE KONFLIKTE SCHWELEN

Die Hoffnung in der Koalition ist, dass sich Spannungen nach dem SPD-Parteitag wieder legen. Aber längst ist deutlich, dass weitere Konflikte schwelen. Mit Argwohn beobachtet die SPD, dass sich die Union gerne von der vereinbarten grundsätzlichen Reform der Schuldenbremse verabschieden würde - schon weil sie sich nicht mit den Linken abstimmen will. Aber ohne Schuldenbremse werde es auch die von der Union gewünschte Wahlrechtsreform nicht geben, deutet ein SPD-Politiker an.

Dazu kommt, dass der Haushalt für dieses Jahr noch nicht von den versprochenen Einsparungen geprägt ist: Union und SPD haben sich mit der Lockerung der Schuldenbremse so viele Kreditmöglichkeiten verschafft, dass bisher Differenzen mit Geld zugekleistert werden konnten. "Aber ohne eine grundsätzliche Reform der Sozialsysteme und die Einsparungen hat diese Koalition eigentlich ihre Berechtigung verloren", warnt ein führender Christdemokrat. Größere Konflikte drohten zudem beim Mindestlohn und der Rentenreform.

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