Kairo/Gaza-Stadt, 25. Mai (Reuters) - Am Donnerstag gab es für Merwat Hidschasi und ihre neun Kinder nichts zu essen. Nur für das schmächtige Baby war noch ein Päckchen Erdnusspaste übrig, das die Familie von einer Klinik als Notration und Ersatz für das ohnehin kaum noch erhältliche Milchpulver bekommen hatte. Stillen kann Hidschasi ihr Kind nicht, sagt die 38-Jährige. Sie habe nicht genug Milch, bekomme ja selbst kaum etwas zu essen. "Ich schäme mich so, dass ich meine Kinder nicht ernähren kann", sagt sie der Nachrichtenagentur Reuters in einem Flüchtlingslager mitten in den Trümmern von Gaza-Stadt. Einige von Hidschasis Kindern liegen still auf dem Zeltboden, als die Witwe den Kampf der Familie gegen das Verhungern in den vergangenen Tagen schildert.
Sonntag, 18. Mai: Die Familie bekam etwa ein halbes Kilo gekochte Linsen aus einer Gemeindeküche, die von einer Wohltätigkeitsorganisation betrieben wird. Bei der Ration für den ganzen Tag handelte sich um die Hälfte der Menge, mit der Hidschasi normalerweise eine einzige Mahlzeit kochen würde.
Montag: Eine lokale Hilfsorganisation verteilte Gemüse im Flüchtlingslager. Doch es reichte nicht für alle, und Hidschasis Familie bekam nichts. Ihre 14-jährige Tochter Menna ging zur Gemeindeküche und kam nur mit einer kleinen Portion gekochter Kartoffeln zurück. Alle waren hungrig und tranken Wasser, um ihren Mägen zu füllen.
Dienstag: In der Gemeindeküche gab es für die Familie etwa ein halbes Kilo gekochte Nudeln. Eine von Hidschasis Töchtern bekam etwas Falafel von einem Onkel, der in der Nähe lebt.
Mittwoch: Ein guter Tag, jedenfalls vergleichsweise. Erst konnte die Familie eine Schüssel Reis mit Linsen in der öffentlichen Küche bekommen. Es war zwar bei weitem nicht genug, aber Tochter Menna ging zurück und bat nachdrücklich um mehr. Schließlich bekam sie noch zwei weitere kleine Gerichte.
Donnerstag: Die Küche war geschlossen. Aus welchem Grund, konnte die Familie nicht herausfinden. Sie hatte nichts zu essen außer dem Päckchen Erdnusspaste für die elf Monate alte Lama.
SORGE UM DAS BABY
Hidschasi ist außer sich vor Sorge um das Baby, das nur fünf Kilogramm wiegt. Das ist etwa die Hälfte dessen, was ein gesundes Kind im Alter von einem Jahr nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation wiegt. Von neuen Hilfslieferungen, die Israel vergangene Woche zum ersten Mal seit Anfang März in den Gazastreifen lassen wollte, habe sie noch nichts gesehen.
Das Schicksal ihrer Familie wirft ein Schlaglicht auf die Zustände im Gazastreifen. Internationale Hilfsorganisationen warnen vor einer Hungersnot. Israel betont dagegen, es gebe in dem Küstenstreifen genug zu essen. Es beschuldigt die Hamas, Hilfslieferungen zu stehlen und das Essen an ihre Kämpfer zu verteilen. Die in Gaza herrschenden Islamisten bestreiten dies.
ERINNERUNGEN AN MAHLZEITEN MIT FLEISCH UND KÄSE
Merwat Hidschasi war vor dem Gaza-Krieg, der mit dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 begann, ein anderes Leben gewöhnt. Ihr Mann Mohammed Hidschasi war Klempner und verdiente gut. Vor dem Krieg konnte sich die Familie üppige Mahlzeiten leisten, sagt Merwat Hidschasi. Zum Frühstück habe es Eier, Bohnen, Falafel, Käse, Joghurt und Brot gegeben. Mittags und abends dann Fleisch, Reis und Gemüse. Die 16-jährige Malik erinnert sich an Burger, Schokolade und Cola. Doch nach Beginn des Krieges sah es anders aus, erzählt die Mutter. Ihr Mann sei gestorben, als er mit dem Fahrrad zu einer Hilfsorganisation fuhr, um Lebensmittel für seine Familie zu holen.
Jetzt stelle sich die 14-jährige Menna früh bei der Suppenküche an und warte lange. Wenn keine Tanklaster mit Trinkwasser ins Lager kommen, müssten der 15-jährige Mustafa und der zwei Jahre jüngere Ali hungrig Wasser in Kanistern heranschleppen. Die sechsjährige Saha könne nachts aus Angst vor Luftangriffen nicht schlafen. "Sie wacht verängstigt und zitternd auf und erinnert sich dann daran, dass sie nichts gegessen hat und hungrig ist", erzählt die Mutter. "Ich verspreche ihr, dass sie am Morgen etwas zu essen bekommt. Natürlich lüge ich."