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Das Ende des 8-Stundentags: Mythos Flexibilität vs. steigende Renditen!

Investing.comMay 22, 2025 12:47 PM

Investing.com – Die Debatte um die Flexibilisierung der Arbeitszeit hat durch die Pläne der Koalition aus Schwarz-Rot einen neuen Aufschwung erhalten. Im Koalitionsvertrag heißt es, »die Möglichkeit einer wöchentlichen anstatt einer täglichen Höchstarbeitszeit zu schaffen«. Diese Idee, die sowohl von der CDU/CSU als auch von Arbeitgeberverbänden seit Langem gefordert wird, soll den Arbeitnehmern mehr Flexibilität bieten – eine Behauptung, die von Kritikern als trügerisch und sogar gefährlich eingestuft wird, wie im Wirtschaftsmagazin Surplus nachzulesen ist.

Historischer Sieg soll der Rendite geopfert werden

Der 8-Stundentag, der seit 1918 in Deutschland gesetzlich verankert ist, gilt als eine der größten Errungenschaften der Arbeiterbewegung. Johanna Wenckebach, Professorin für Arbeitsrecht, betont in diesem Zusammenhang, dass »der 8-Stundentag nicht nur eine Arbeitszeitregelung, sondern ein Grundpfeiler für ein menschenwürdiges Leben ist«. Er ermöglicht nicht nur Erwerbsarbeit, sondern auch Zeit für Familie, Erholung und gesellschaftliches Engagement. Die aktuelle Forderung, die tägliche Höchstgrenze zugunsten einer wöchentlichen Regelung aufzuweichen, bedrohe dieses Grundrecht.

Wenckebach verweist darauf, dass »die tägliche Grenze der Arbeitszeit gerade in einer entgrenzten Arbeitswelt wichtiger denn je ist«. In einer Zeit, in der Digitalisierung und Homeoffice die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben immer mehr verwischen, sei der Schutz vor Überlastung unverzichtbar. »Wenn die Arbeit jeden Tag bis spät in die Nacht gehen kann, dann verlieren wir nicht nur unsere Gesundheit, sondern auch unsere Fähigkeit, ein erfülltes Leben zu führen«, so Wenckebach.

Gesundheit und Sicherheit in Gefahr

Die Kritiker der Pläne warnen vor den gesundheitlichen Folgen längerer Arbeitstage. Studien zeigen, dass das Unfallrisiko nach acht Stunden exponentiell steigt und überlange Arbeitszeiten zu chronischen Erkrankungen wie Burn-out, Herz-Kreislauf-Problemen und Depressionen führen können. »Das Arbeitszeitgesetz ist kein bürokratisches Hindernis, sondern ein effektiver Schutzmechanismus«, erklärt Wenckebach. Sie verweist dabei auf Urteile des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesarbeitsgerichts, die die Bedeutung von Arbeitszeitschutz für die Gesundheit der Beschäftigten betonten.

Die Arbeitgeberverbände argumentieren hingegen, dass eine wöchentliche Höchstarbeitszeit im Einklang mit der europäischen Richtlinie stehe, die lediglich eine wöchentliche Obergrenze von 48 Stunden vorsieht. »Diese Argumentation ignoriert jedoch die Tatsache, dass der 8-Stundentag, obwohl er nicht explizit in der EU-Richtlinie genannt wird, ein historisch gewachsener Schutzstandard ist, der nicht leichtfertig aufgegeben werden darf«, so Wenckebach.

Die Professorin für Arbeitsrecht verweist auch darauf, dass die von der Politik und den Arbeitgeberverbänden gesponnene Geschichte, dass Deutschland aufgrund der niedrigen Wochenarbeitszeit nicht mehr wettbewerbsfähig sei, an der Realität völlig vorbeigeht. Denn die Grundlage dieser Aussage ist, dass Teilzeitbeschäftigte mit in die Rechnung eingehen, was die durchschnittliche Arbeitszeit unverhältnismäßig senkt. Die Realität ist eine völlig andere:

"In Deutschland wird bereits jetzt so viel gearbeitet wie nie: Die tatsächliche durchschnittliche Arbeitszeit bei Vollzeit lag 2021 bei 43 Stunden, 12 Prozent der abhängig Beschäftigten arbeiten laut Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin sogar 48 Stunden und mehr. Das Arbeitszeitvolumen lag 2023 auf einem Rekordniveau und mit 54,7 Milliarden Arbeitsstunden auf dem höchsten Wert seit 1991. Im Jahr 2023 wurden 556,2 Millionen bezahlte und 727,8 Millionen unbezahlte Überstunden geleistet. Gerne wird in der Debatte auf die im europäischen Vergleich niedrige durchschnittliche Arbeitszeit verwiesen. Diese geht jedoch auf die sehr hohe Quote an Teilzeitbeschäftigten zurück", so Wenckebach.

Vereinbarkeit von Familie und Beruf? Eine Farce

Ein weiterer Kritikpunkt ist die Behauptung, dass die Flexibilisierung der Arbeitszeit die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern würde. Johanna Wenckebach bezeichnet diese Aussage als »absurd«: »Längere Arbeitstage bedeuten nicht mehr Zeit für die Familie, sondern im Gegenteil mehr Druck und weniger Planbarkeit.« Sie betont, dass die wirklichen Probleme wie fehlende Kita-Plätze, unzureichende Ganztagsbetreuung und die Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten von dieser Debatte ablenkt.

Besonders Frauen würden unter der Aufweichung des 8-Stundentags leiden. »Frauen leisten bereits heute den Großteil der unbezahlten Sorgearbeit. Wenn die Erwerbsarbeit noch weniger planbar wird, wird die Ungleichheit weiter zunehmen«, so Wenckebach. Dies würde nicht nur die ökonomische Unabhängigkeit von Frauen gefährden, sondern auch ihre Chancen auf beruflichen Aufstieg und eine ausreichende Rente.

Flexibilität – aber für wen?

Die Aussage im Koalitionsvertrag, dass sowohl Beschäftigte als auch Unternehmen mehr Flexibilität wünschen, wird von Kritikern als irreführend eingestuft. Johanna Wenckebach stellt klar: »Die Interessen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber sind hier diametral entgegengesetzt. Während Arbeitgeber von längeren Arbeitstagen profitieren, brauchen Arbeitnehmer vor allem Schutz vor Entgrenzung.« Sie fordert stattdessen Maßnahmen wie ein Rückkehrrecht auf Vollzeit, Brückenteilzeit und ein Recht auf mobile Arbeit, um echte Flexibilität im Sinne der Beschäftigten zu schaffen, doch davon ist im Koalitionsvertrag nichts zu finden.

Die Formulierung im Koalitionsvertrag, dass niemand »gegen seinen Willen zu höherer Arbeitszeit gezwungen werden« solle, sei zudem kritisch zu sehen. »Diese Formulierung verkennt den strukturellen Druck, der auf Beschäftigten lastet«, so Wenckebach. Die sogenannte »interessierte Selbstgefährdung«, bei der Arbeitnehmer aus Angst vor Nachteilen freiwillig Überstunden leisten, sei in flexiblen Arbeitsmodellen besonders stark ausgeprägt.

Der Kampf geht weiter

Die gute Nachricht ist, dass es laut Koalitionsvertrag einen Sozialpartnerdialog zur konkreten Ausgestaltung der Pläne geben wird. Gewerkschaften wie der DGB haben bereits klargestellt, dass sie Rückschritte im Arbeitsschutz nicht akzeptieren werden. »Der 8-Stundentag ist keine veraltete Regelung, sondern ein zentrales Element für ein modernes, menschenwürdiges Leben«, betont Wenckebach.

Die Forderung, den 8-Stundentag für vermeintliche Flexibilität zu opfern, ist nicht nur historisch fragwürdig, sondern auch gesellschaftlich gefährlich. Sie birgt das Risiko, die Gesundheit der Menschen zu gefährden, die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern zu zementieren und letztlich das Fundament einer ausgewogenen Work-Life-Balance zu zerstören. In einer Zeit, in der Entgrenzung und Digitalisierung die Arbeitswelt prägen, ist der Schutz täglicher Grenzen wichtiger denn je.

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