- von Andreas Rinke
Berlin (Reuters) - Auch wenn Donald Trump sein Telefonat mit Wladimir Putin in höchsten Tönen lobte - die Reaktion in Deutschland und Europa war blankes Entsetzen. Denn mehr als eine Woche hatten sich Kanzler Friedrich Merz, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und der britische Premierminister Keir Starmer in zahlreichen Telefonaten darum bemüht, den US-Präsidenten zu einer harten Haltung gegenüber dem russischen Präsidenten zu bewegen. Noch nie drehte sich die transatlantische Telefon-Diplomatie auf einem so hohen Niveau. Aber dann kippte Trump in dem zweitstündigen Telefonat mit dem russischen Präsidenten wieder um, weil ihm Putin offenbar vage Zusagen für Verhandlungen mit der überfallenen Ukraine machte. Von dem gemeinsamen Sanktionsweg, den Amerikaner und Europäer noch am Sonntagabend anvisiert hatte, wollte Trump nach Angaben von Gesprächsteilnehmern danach nichts mehr wissen. Stattdessen lobt er Russland als "wichtigen Handels- und Wirtschaftspartner". Den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj wies er kurzerhand an, er solle sich mit dem Aggressor Russland verständigen.
Dementsprechend schmallippig fielen die Reaktionen der betroffenen Europäer und vor allem der Ukrainer aus. Immerhin betonte Kanzler Merz noch am Abend fast trotzig auf der Plattform X: "Europa wird den Druck auf Moskau durch Sanktionen erhöhen". Doch in Wahrheit ging es erst einmal nur noch um Schadensbegrenzung - auf verschiedenen Feldern.
"Wenn wir Trump als Partner verlieren, steht noch viel mehr auf dem Spiel als die Ukraine - nämlich die gemeinsame Nato", warnte ein EU-Diplomat etwa. Die Europäer müssen zudem die Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen Russland weiter unterstützen - notfalls ohne die USA. "Aber das ist derzeit sehr schwierig", betonte ein anderer EU-Diplomat und verwies auf die bisherigen enormen Waffenlieferungen der Supermacht. Man habe am Montag immerhin abwehren können, dass eine zunehmend desinteressierte US-Regierung die Lieferungen von Aufklärungs- und Geheimdienstdaten für die Ukraine kappt, tröstet man sich in europäischen Hauptstädten.
Drittens müssen Merz & Co um Einheit und Glaubwürdigkeit in Europa ringen. Denn bei ihrem gemeinsamen Besuch in Kiew hatten Merz, Macron, Starmer und der polnische Ministerpräsident Donald Tusk eine starke Botschaft Richtung Moskau gesandt: Ab vergangenen Montag sollte eigentlich eine bedingungslose Waffenruhe gelten. Nur hielt Russland diese erneut nicht ein, sondern verstärkte sogar seine Drohnen-Angriffe auf die Ukraine. Also starteten die Europäer die Arbeit an neuen Sanktionen, um ihre Glaubwürdigkeit zu bewahren. Aber weil dies in der EU wie immer Zeit braucht, hagelt es bereits Kritik. "Merz hat einen richtigen Start hingelegt und dann ist er voll gegen die Wand gelaufen. Ich glaube, den wird im Kreml auf Monate niemand mehr ernst nehmen. Der kann fünfmal Sanktionen sagen und keiner glaubt ihm", spottete der Linken-Co-Parteichef Jan van Aken am Dienstag bei Welt-TV.
Weil die Europäer wissen, was auf dem Spiel steht, beschlossen die 27 EU-Außenminister am Dienstag immerhin das Inkrafttreten des 17. EU-Sanktionspakets gegen Russland, das etwa Maßnahmen gegen die russischen Öl-Schattenflotte vorsieht. Gleichzeitig werden die Vorbereitungen für ein deutlich härteres 18. Sanktionspaket vorangetrieben, das sich gegen den russischen Energie- und Bankensektor richten soll. Ob russlandnahe EU-Länder wie Ungarn dies allerdings mittragen, steht noch in den Sternen. Die Hoffnung auf ein ähnliches US-Sanktionspaket, das im US-Kongress vorangetrieben wurde, hat sich jedenfalls bereits verflüchtigt. Trump kündigte in dem Telefonat mit den Europäern am Montag an, dass er auf jeden Fall ein Veto einlegen würde. Am Dienstag äußerte sich Trump erneut vage: "Wir schauen uns viele Dinge an, aber wir werden sehen", sagte er zu Reportern auf die Frage, ob nach der EU auch die USA Sanktionen verhängen würden.
MERZ ALS PROFITEUR DER KRISE
Immerhin scheint der Kanzler selbst trotz der schwierigen Lage profitiert zu haben. Denn nur zwei Wochen nach Beginn seiner Amtszeit hat der CDU-Chef häufiger mit dem US-Präsidenten telefoniert als sein Vorgänger Olaf Scholz in seiner gesamten Amtszeit. Handynummern sind ausgetauscht, erste SMS geschrieben - und Trump umschmeichelte den Kanzler in den Telefonaten nach Teilnehmerangaben mit einem Lob für dessen Englisch. Merz wiederum hat bei dem US-Präsidenten nach dem Telefon-Debakel mit Putin offenbar mit dem gesichtswahrenden Vorschlag gepunktet, nun erst einmal eine Arbeitsgruppe zur Vorbereitung eventueller Friedensgespräche im Vatikan einzurichten.
War in Kiew noch Frankreichs Präsident Macron mit seinen früheren Kontakten zu Trump die klare Nummer eins im europäischen Quartett, so scheint sich der deutsche Kanzler nun zudem einen zentralen Platz in dem Reigen der Diplomatie-Kontakte erkämpft zu haben.
Dies kann für weitere Gespräche mit Trump von Vorteil sein - und dürfte Merz auch einen baldigen, möglichst konfliktfreien Besuch im Weißen Haus ermöglichen. Aber je zentraler die Rolle des Kanzlers in den Ukraine-Verhandlungen sein wird, desto größer ist auch die Fallhöhe für Deutschland: Die Ukraine signalisiert bereits im Hintergrund, dass sie mehr Hilfe brauche. Und sollte der Eindruck entstehen, dass die Europäer nach ihren starken Worten nicht liefern, könnte das den allseits gelobten Start von Merz in der Außenpolitik überschatten.