tradingkey.logo

ANALYSE-Paris, Warschau, Brüssel - Merz' Blitzstart in Europa

ReutersMay 8, 2025 12:13 PM
  • Treffen mit Macron und Tusk lange vorbereitet
  • Politischer Kratzer durch zweimalige Kanzlerwahl
  • Trump und Putin zwingen Einheit der große EU-Staaten
  • Aber Differenzen bei Geld, Migration bleiben

- von Andreas Rinke

- Umarmung, Schulterklopfer, Hand am Oberarm – bei seinem Antrittsbesuch in Paris bekam der neue Kanzler Friedrich Merz am Mittwoch so ziemlich alles geliefert, was Frankreichs Präsident Emmanuel Macron an Gesten in seinem Repertoire hat, um Gästen Nähe zu vermitteln. Auch visuell sollte die Botschaft lauten: Die deutsch-französischen Beziehungen sollen noch enger werden. Merz verkündete seinerseits einen "Neustart für Europa". Am Nachmittag flog er nach Warschau weiter. Am Freitag warten die nächsten Antrittsgespräche des neuen Kanzlers in Brüssel.

Nach dem Schock am Dienstag, als Merz erst im zweiten Anlauf zum Kanzler gewählt wurde, drohte sogar die Absage der Reisen. "Jetzt senden wir durch den erfolgreichen zweiten Wahlgang das wichtige Signal: Wir sind im Zeitplan, Deutschland ist verlässlich", betont ein Regierungsvertreter. Aber Restzweifel werden auch bei den Partnern bleiben: Denn wenn die neue schwarz-rote Koalition erstmals in der Geschichte der Bundesregierung den Kanzler nicht im ersten Wahlgang wählt, könnte sie möglicherweise auch später bei umstrittenen Gesetzesvorhaben keine Mehrheit haben. Merz braucht für seine Europapolitik bei vielen Entscheidungen aber den Rückhalt. Gerade erst hatte er erneut angekündigt, dass es keine Enthaltungen Deutschlands bei EU-Abstimmungen in Brüssel wegen koalitionsinterner Streitigkeiten mehr geben soll.

Die Erwartungen in Europa sind jedenfalls groß. "Friedrich Merz muss Europa bewegen – nicht irgendwann, sondern jetzt", sagt Bernd Hüttemann, Generalsekretär der Europäischen Bewegung Deutschland (EBD), einem Bündnis von Interessengruppen in der Europapolitik. Die neue Europakoordinierung im Kanzleramt biete die Chance, "klare Führung zu zeigen". "Ich weiß, dass viele von Ihnen mehr deutsche Führung erwarten, als wir in den vergangenen Jahren gesehen haben", hatte Merz selbst auf dem Treffen der konservativen Parteienfamilie EVP gesagt, zu der auch CDU und CSU gehören.

DRUCK AUF EUROPA

Sein Vorgänger Scholz war 2021 allerdings mit ähnlichen Ankündigungen als Bundeskanzler gestartet: Seine Regierung werde nun aber endlich auf die vielen Macron-Initiativen eingehen, auf die die vorangehende Regierung unter Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht wirklich geantwortet habe, sagte der SPD-Politiker damals. Der Empfang von Macron war ähnlich herzlich gewesen. Der französische Präsient betonte, wie lange er und Scholz sich schon kennen würden. Doch dann kamen im Alltag inhaltliche Differenzen, es gab unterschiedliche Mentalitäten.

Der Unterschied: Der außenpolitische Druck durch Russland, China und die USA ist so groß, dass Kanzler und Präsident klarer wissen, dass sie eng zusammenarbeiten müssen. Nur so hat Europa überhaupt noch eine Chance, sich durchzusetzen. Auch mit Polen und Großbritannien müssen sie sich absprechen. Deshalb hatten die Akteure in den vergangenen Monaten häufig Kontakt – mal hinter, mal vor den Kulissen. Das trug dem CDU-Chef den Vorwurf ein, sich neben Scholz wie ein "Neben-Kanzler" zu verhalten. Aber es hat nun erhebliche Vorteile. Macron und er präsentierten bereits beim Antrittsbesuch eine Art gemeinsamer Agenda. Unter anderem planen der neue Kanzler und der Präsident regelmäßige Gespräche im "3 plus 3"-Format mit ihren Außen- und Verteidigungsministern.

Der konservative Kanzler kann diesmal darauf verweisen, dass Deutschland massiv vorgelegt hat: Schon vor der Regierungsbildung kippte die Union ihren langjährigen Widerstand gegen eine Lockerung der Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben. Merz reist nun mit einem Beschluss von Infrastruktur-Investitionen über 500 Milliarden Euro in der Tasche nach Brüssel. Prompt erhielt er dafür Lob von Macron.

Der Think Tank European Council on Foreign Relations (ECFR) kommt zu einer vorsichtig positiven Einschätzung, welche Rolle Merz spielen kann. Mehrere Gründe rechtfertigten Optimismus, schrieben Jana Puglierin und Jeremy Cliffe. Merz habe das Problem klar diagnostiziert und die Gründe für Scholz' Scheitern erkannt. Und Merz habe das nötige Geld für seine Politik.

DIFFERENZEN BLEIBEN

Doch Differenzen bleiben, mit Frankreich und Polen gerade beim Geld. Beide Regierungen drängen in Richtung einer gemeinsamen Schuldenaufnahme auf EU-Ebene, was Merz bisher wie seine Vorgänger ablehnt. Die Grünen-Chefin Franziska Brantner fordert aber einen nächsten Schritt. "Es würde Kraft und Mut erfordern, dass Herr Merz im Zweifel auch bereit ist, zum Beispiel europäische Schulden aufzunehmen, etwa für Defence Bonds", sagt sie der Nachrichtenagentur Reuters.

In Paris wurde klar, dass auch ein neuer Bundeskanzler wohl wenig am französischen Widerstand gegen das EU-Mercosur-Freihandelsabkommen machen kann. Und in Warschau bekam Merz sofort einen Eindruck davon, wie schwer es manchmal ist, eine innenpolitische Agenda mit der europäischen zusammenzubekommen. Während in Berlin der neue Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) Vollzug der Wahlversprechen ankündigte, am ersten Tag der Amtszeit die Grenzen dichter zu machen, mahnte Polens Ministerpräsident Tusk, dass man den Schutz an den EU-Außengrenzen, aber nicht die Binnengrenzen verschärfen sollte. Er verstehe zwar, dass gerade in der Flüchtlingspolitik jede Regierung auf die eigene innenpolitische Stimmung achtet, dies dürfe aber nicht den Schengenraum gefährden. "Die AfD ist Ihr Problem, Herr Bundeskanzler", betonte Tusk.

Haftungsausschluss: Die auf dieser Website bereitgestellten Informationen dienen ausschließlich Bildungs- und Informationszwecken und stellen keine Finanz- oder Anlageberatung dar

Verwandte Artikel

tradingkey.logo
tradingkey.logo
Intraday-Daten werden von Refinitiv bereitgestellt und unterliegen den Nutzungsbedingungen. Historische und aktuelle End-of-Day-Daten stammen ebenfalls von Refinitiv. Alle Kursangaben entsprechen der lokalen Börsenzeit. Echtzeit-Kursdaten zu US-Aktien beziehen sich ausschließlich auf über Nasdaq gemeldete Transaktionen. Intraday-Daten sind mindestens 15 Minuten oder gemäß den Vorgaben der jeweiligen Börse verzögert.
* Referenzen, Analysen und Handelsstrategien werden vom Drittanbieter Trading Central bereitgestellt, und der Standpunkt basiert auf der unabhängigen Bewertung und Beurteilung des Analysten, ohne die Anlageziele und die finanzielle Situation der Investoren zu berücksichtigen.
Risikohinweis: Unsere Website und mobile App bieten lediglich allgemeine Informationen zu bestimmten Anlageprodukten. Finsights stellt keine Finanzberatung oder Empfehlung für ein Anlageprodukt bereit, und die Bereitstellung solcher Informationen darf nicht als Finanzberatung durch Finsights ausgelegt werden.
Anlageprodukte unterliegen erheblichen Anlagerisiken, einschließlich des möglichen Verlusts des investierten Kapitals und sind möglicherweise nicht für jeden geeignet. Die vergangene Wertentwicklung von Anlageprodukten ist nicht unbedingt ein Hinweis auf deren zukünftige Wertentwicklung.
Finsights kann Drittanbietern oder Partnern erlauben, Werbung auf unserer Website oder in unserer mobilen App oder in Teilen davon zu platzieren oder bereitzustellen. Finsights kann für diese Anzeigenvergütung erhalten, basierend auf Ihrer Interaktion mit den Werbeanzeigen.
© Urheberrecht: FINSIGHTS MEDIA PTE. LTD. Alle Rechte vorbehalten.
KeyAI