- von Andreas Rinke
Berlin, 30. Apr (Reuters) - Als CDU-Chef Friedrich Merz am Montag für die Annahme des Koalitionsvertrags mit der SPD warb, warnte er nicht nur vor Euphorie angesichts der Regierungsbildung. Er stellte ein außenpolitisches Thema in den Mittelpunkt seiner Rede: Die größte Herausforderung "möglicherweise in den nächsten Jahren" seien der Ukraine-Krieg und die Abwehr russischer Destabilisierungsversuche, sagte der designierte Kanzler. "Dieser Krieg richtet sich gegen die gesamte politische Ordnung Europas." Die äußere Sicherheit sei Voraussetzung für alles, was folge - egal, ob es um die Innen-, Wirtschafts-, Umwelt- oder Sozialpolitik gehe.
Damit beschreibt Merz ein Credo seiner am kommenden Dienstag höchstwahrscheinlich beginnenden Kanzlerschaft: Der frühere Europaabgeordnete will die Außen- und Europapolitik ins Zentrum stellen. Und Merz will mit der Besetzung des Außenministeriums durch die CDU Politik aus einem Guss. Das zeigt auch das Personal im Kanzleramt - und am neuen Regierungssprecher. Denn mit Stefan Kornelius, der bisher für die "Süddeutsche Zeitung" gearbeitet hat, soll künftig ein Journalist mit einem ganz klaren außenpolitischen und transatlantischen Profil für die neue schwarz-rote Regierung sprechen.
Früh hatte Merz im Wahlprogramm durchgedrückt, dass es einen Nationalen Sicherheitsrat im Kanzleramt geben soll, der auch als Mittel gegen Vielstimmigkeit in der Außenpolitik wirken soll. Dieser kommt - wie erwartet - nun nicht in Reinform, weil die SPD mit den von ihr besetzten Verteidigungs- und Entwicklungsministerien erfolgreich auf die Eigenständigkeit der Ressorts pochte. Aber der künftige Kanzleramtschef Thorsten Frei betont, dass der bisherige Bundessicherheitsrat unter Berücksichtigung des Ressortprinzips sehr wohl weiterentwickelt werden soll, um alle Sicherheitsaspekte der Innen- und Außenpolitik zusammenzufassen und die strategische Planung in der Regierung zu verstärken. Es werde im Kanzleramt einen "entsprechenden Arbeitsmuskel" geben.
KERNTEAM FÜR AUSSENPOLITIK
Ohnehin umgibt sich Merz künftig mit starkem außen- und europapolitischen Personal: Aus Brüssel holt er den erfahrenen Botschafter Michael Clauß, der als Kenner des EU-Geschäfts gilt, aber auch schon Botschafter in China war. Merz hatte erklärt, dass es in seiner Regierung kein "German vote", also keine Enthaltungen mehr in EU-Räten, geben sollte. Zudem will er alle Ministerinnen und Minister dazu verdonnern, Brüssel als eine ihrer Prioritäten zu betrachten. Deutsche Interessen sollen verstärkt durchgesetzt werden - mit einer zuvor abgestimmten Haltung der schwarz-roten Koalition. Deshalb wird auch die europapolitische Koordinierung im Kanzleramt verstärkt.
Mit Günter Sautter macht er zudem ein diplomatisches Schwergewicht sowie einen transatlantisch und UN-geschulten Beamten zu seinem außen- und sicherheitspolitischen Berater. Sautter, der wie viele Diplomaten Karriere auch unter anderen politischen Farben an der Ministeriumsspitze machte, hatte etwa in New York die internationale Unterstützung für die Ukraine mitorganisiert, bevor er als Politischer Direktor in eine wichtige Funktion im Außenministerium rückte.
Merz macht auch den Diplomaten und Vertrauten Jacob Schrot zu seinem Büroleiter im Kanzleramt, der bisher Stabschef für den CDU-Fraktionschef war. Auch Schrot hat bereits im Kanzleramt in der außenpolitischen Abteilung gearbeitet. Bei ihm wird auch die neue Stabsstelle für den nationalen Sicherheitsrat angedockt sein. Noch nie gab es einen Kanzler mit einer so zentralen außen- und europapolitisch geprägten Kernmannschaft.
AUSSENMINISTERIUM ALS BEGLEITMINISTERIUM?
Zur angestrebten Politik aus einem Guss gehört, dass der bisherige CDU/CSU-Fraktionsvizechef Johann Wadephul an die Spitze des Auswärtigen Amtes berufen wurde. Statt der früheren Konkurrenz zwischen Kanzler und Außenminister soll das Ministerium am Werderschen Markt eine unterstützende Rolle spielen, heißt es in der CDU. Eine "Nebenaußenpolitik" mit anderen Schwerpunkten, wie es sie unter Joschka Fischer, Frank-Walter Steinmeier oder Annalena Baerbock gab, soll es unter Merz nicht geben. Intern hat der CDU-Chef klargemacht, dass er auf jeden Fall die Federführung im Umgang mit den USA, China und Russland beansprucht.
Ob das ein Ansehensverlust des Außenamts bedeuten wird, ist offen. Aber Wadephuls Berufung wird als klares Signal gesehen, dass der künftige Kanzler selbst die Linie bestimmen will - schon weil dem 62-Jährigen kein Profilierungsdrang gegen den eigenen Parteichef unterstellt wird. Wadephul und Merz zogen in den vergangenen Jahren gerade in der Ukraine-Politik an einem Strang. Im Dezember reisten beide zusammen nach Kiew. Und in der Europapolitik dürfte es deutlich weniger Differenzen zwischen Kanzleramt und Außenamt geben.
Bisher galten auch die Differenzen der Unionsspitze mit dem SPD-Verteidigungsminister Boris Pistorius in den zentralen sicherheitspolitischen Fragen als begrenzt. Mit der Lockerung der Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben wurde ein potenzielles Streitthema noch vor Antritt der schwarz-roten Koalition entschärft.
"Johann Wadephul wird ein sehr loyaler Außenminister sein, der die außenpolitischen Vorgaben des Kanzleramtes in den Grundzügen umsetzt und sich ansonsten auf weniger profilierte Politikbereiche konzentriert", sagt auch Jana Puglierin, Chefin des Berliner Thinktanks ECFR, zu Reuters. "Ich erwarte eine reibungslose und konstruktive Zusammenarbeit zwischen dem Kanzler und dem Außenminister."
Der Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Stefan Mair, weist auf eine andere offene Frage hin: "Ich bin gespannt, wer in der neuen Bundesregierung die Kontakte mit den aufstrebenden Ländern des globalen Südens pflegen wird - wird das der Bundeskanzler machen oder der Außenminister? Oder überlässt man das dem Entwicklungsministerium?", sagt Mair zu Reuters. "Jedenfalls ist dies ein strategisch immer wichtigeres Thema."