- von Andreas Rinke
Berlin, 18. Apr (Reuters) - Es ist eine Schreckensvorstellung für alle Forscher: Jahrzehntelang werden wissenschaftliche Informationen in einer Datenbank gespeichert - und dann gibt es plötzlich keinen Zugriff mehr darauf. Genau dieses Schreckgespenst beschwört US-Präsident Donald Trump mit seinem Vorgehen gegen die US-Wissenschaftseinrichtungen derzeit herauf. Nach Angaben des Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), gibt es Anzeichen, dass Daten etwa der Wetter- und Ozeanografie-Behörde der USA (NOAA) ab Mai nicht mehr zugänglich sein könnten. Betroffen sein dürften insgesamt vor allem jene Forschungsbereiche, die von der Trump-Regierung als missliebig angesehen werden - das reicht von der Klima-, Umwelt-, Gender- bis zur Medizinforschung.
Deutsche Wissenschaftsorganisationen, die sich lange auf den problemlosen Austausch mit ihren US-Counterparts verlassen hatten, sind deshalb ebenso aufgeschreckt wie die Politik. Denn das Vorgehen der US-Regierung trifft nicht nur die Forscher in den USA und löst Debatten aus, ob Europa Wissenschaftler aufnehmen sollte. Langsam werden die ganzen Folgewirkungen für die bisher dominierende Rolle der USA in der internationalen Wissenschaftswelt deutlich. "Deutschland und Europa können sich nicht mehr ohne weiteres auf Zugriffsmöglichkeiten auf Daten in den USA verlassen. Dies gilt auch, soweit es um Daten geht, die weltweit für Klima- und Gesundheitsfragen unverzichtbar sind", sagte der geschäftsführende Forschungsminister Cem Özdemir (Grüne) der Nachrichtenagentur Reuters. Auch die kommende schwarz-rote Koalition ist alarmiert: "Wissenschaftlich relevante Datenbestände, deren Existenz bedroht ist, wollen wir weltweit sichern und zugänglich halten", heißt es im Koalitionsvertrag.
Die Fraunhofer-Gesellschaft, die derzeit den Vorsitz der großen Wissenschaftsorganisation innehat, bestätigt, dass derzeit evaluiert wird, wo überall Abhängigkeiten von Datensätzen und -banken in den USA bestehen. Das könnten viele sein. Behörden, Firmen und Bürger machten sich bisher wenig Gedanken über die Gefahren, die eine Speicherung der eigenen Daten etwa in Clouds oder Datenzentren in den USA mit sich bringt. Für Wissenschaftler, die oft grenzüberschreitend an Projekten arbeiten, tritt dieses Problem verschärft auf. "Projekte, die bei der US-Regierung nicht im Fokus stehen oder unerwünscht sind, könnten künftig keine Finanzierung mehr erhalten und dann auch entsprechende Datenbanken ihren Betrieb einstellen müssen", warnte auch Susanne Dehmel, Mitglied der Bitkom-Geschäftsleitung, gegenüber Reuters.
Ein Beispiel ist die Klimaforschung, die - wie die Erforschung von Pandemien - zwangsläufig international organisiert sein muss. "Bis jetzt waren natürlich unsere Kollegen in den USA immer ganz massiv daran beteiligt, Daten mit uns zu erheben, gemeinsam auf Schiffen, gemeinsam auf Expeditionen, gemeinsam an Forschungsprojekten zu arbeiten. Und jetzt werden diese Daten, die eben dann in den USA gespeichert wurden, eben zum Teil nicht mehr verfügbar sein", sagte Frank Oliver Glöckner, Chef des Forschungsdatenarchivs PANGAEA am AWI, am Donnerstag dem Sender Radio eins.
Das hat direkte Konsequenzen: Denn die Daten der Wetter- und Ozeanografie-Behörde der USA helfen weltweit, Tornados oder Hurrikane besser zu verstehen. Ohne solche Daten verlieren Frühwarnsysteme oder Küstenschutzmaßnahmen an Präzision.
Deshalb werden nun Sicherungskopien besonders gefährdeter US-Datenbestände erstellt, wo dies möglich ist - durchaus auch auf Wunsch der US-Partner. So koordinierten die Helmholtz-Zentren für Umweltforschung (UFZ), Ozeanforschung (GEOMAR), Geoforschung (GFZ), Polar- und Meeresforschung (AWI) sowie das Deutsche Klimarechenzentrum nach MDR-Informationen die Speicherung im Umfang von mehreren Hundert Terabyte Daten. Die Frage ist, ob die Daten aber auch weiter nutzbar sind, weil auch die für die Auswertung nötigen Programme in den USA vorhanden sind, wo bisher viel mehr Geld und technische Lösungen zur Verfügung standen. Nun rächt sich, dass Deutschland und die EU sich jahrzehntelang trotz Warnungen auf die Digitalmacht USA verlassen hatten statt die Speicherung von Daten in Europa vorzuschreiben und mehr eigene Software-Lösungen zu entwickeln. Letztlich habe man jahrzehntelang gedacht, dass eine möglichst große Vernetzung Sicherheit schaffe, sagte AWI-Datenexperte Glöckner. Man habe die Kosten etwa einer doppelten Speicherung der Daten gescheut.
Damit dürfte es nun vorbei sei. Der MDR zitiert Katrin Böhning-Gaese, wissenschaftliche Geschäftsführerin des Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig mit der Aussage, dass die US-Umweltbehörde Environmental Protection Agency (EPA) sogar angefragt habe, ob europäische Partner Datenbanken zur toxikologischen Bewertung von Chemikalien übernehmen könnten.