- von Andreas Rinke
Washington, 18. Aug (Reuters) - Für die selbstbewussten europäischen Staats- und Regierungschefs war dies eine extrem seltsame Erfahrung: Sie waren extra aus dem fernen Europa gleich in einer Siebener-Formation nach Washington angereist, um Ausfälle von US-Präsident Donald Trump beim Thema Ukraine zu verhindern. Im Weißen Haus mussten sie dann aber erst einmal bei einem Mittagessen im State Dining Room warten, bis Trump überhaupt Zeit für sie hatte. Denn seine Dramaturgie sah vor, dass er erst den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj traf, bevor die europäischen "Angehörigen" der Ukraine dazugebeten wurden. Immerhin war am Nachmittag dann klar: Der von einigen Europäern nach dem Alaska-Gipfel mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin befürchtete Eklat blieb aus.
Zum einen behandelte Trump Selenskyj diesmal freundlich, auch wenn er die Frage der Kriegsschuld wieder gleichwertig zwischen der überfallenen Ukraine und dem Aggressor Russland verteilte. Immer wieder machte er allgemein klar, dass der Krieg einfach aufhören müsse, ohne den Schuldigen zu benennen. Und er wollte sichtlich auch keinen Streit mit Kanzler Friedrich Merz, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, dem finnischen Ministerpräsidenten Alexander Stubb, der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, dem britischen Premierminister Keir Starmer, Nato-Generalsekretär Mark Rutte und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Zwar wirkten sie wie Schuljungen und -mädchen, als sie vom großen Präsidenten nacheinander aufgerufen wurden und ihre Punkte zur Ukraine-Politik nennen konnten. Aber immerhin war Trump freundlich, lobte sogar den Teint des Nur-Kurz-Urlaubers Merz.
KEIN WIDERSPRUCH VON TRUMP
Sein Trick war dabei derselbe wie beim Merz-Antrittsbesuch im Juni. Auch dort verzichtete Trump darauf, seinen Gästen zu widersprechen. So ließ er diesmal die deutliche Merz-Mahnung unkommentiert, dass es keinen Dreiergipfel Trump, Putin und Selenskyj ohne eine vorangehende Waffenruhe geben könne. Dabei hatte Trump zuvor im Oval Office beim gemeinsamen Auftritt mit Selenskyj genau das Gegenteil behauptet. Macron wiederum betonte die Notwendigkeit, die ukrainische Armee möglichst stark zu machen. Aber Trump widersprach an keinem Punkt.
Stattdessen lockte der US-Präsident erneut mit allerdings sehr vagen Sicherheitsgarantien für die Ukraine - was Merz schon vergangenen Samstag nach dem Alaska-Gipfel als einen der wenigen positiven Punkte des Hofierens von Putin genannt hatte.
Aber auch wenn der befürchtete Eklat beim kurzfristig anberaumten Treffen in Washington ausblieb: Am Ende fragten sich EU-Diplomaten, ob man durch das seltsame Treffen in Washington wirklich weitergekommen ist. Trump hat nach dem umstrittenen Putin-Treffen nun aller Welt demonstrieren können, dass er gegenüber den Europäern die Zentralfigur ist. Seine Zusagen sind nach Einschätzungen der europäischen Delegationen so vage, dass schwer vorstellbar ist, wie darauf ein Friedensvertrag aufbauen soll. Merz wusste schon vor der Anreise, dass der Besuch auch ein politisches Risiko darstellt. Eigentlich rechtfertigen nur echte Fortschritte den Aufwand der Reisen. "Ich will nicht verhehlen, dass ich nicht sicher war", sagte Merz nach Ende der Beratungen. "Das hätte auch anders verlaufen können." Aber nun seien seine Erwartungen übertroffen.
Dabei hatte Trump am Montag sofort neue Sorgen ausgelöst, weil er ankündigte, nach den Gesprächen mit den Europäern gleich mit Putin telefonieren zu wollen. "Wir wissen, dass er meist die Meinung von der Person übernimmt, mit der er zuletzt gesprochen hat", seufzte ein EU-Diplomat. Deshalb könnte ab Dienstag die politische Konstellation ähnlich sein wie zuvor: Schon am Montagmorgen hatte Trump auf seinem Social-Media-Kanal geschrieben, dass Selenskyj den Krieg sofort beenden könne, wenn er die russische Besetzung der Krim und den Verzicht auf eine Nato-Mitgliedschaft seines Landes akzeptiere. Das ist etwas, das weder Selenskyj noch die europäischen Gäste im Weißen Haus akzeptieren. Möglicherweise ist der große Clash der Europäer mit Trump deshalb nur vertagt worden.
Immerhin: Am Abend drehte sich die Sequenz der Gespräche etwas zugunsten der Gäste um. Der US-Präsident unterbrach die Beratungen, um mit Putin zu telefonieren - um dann wieder mit den Europäern zu beraten.