- von Andreas Rinke
Berlin, 17. Aug (Reuters) - Als Kanzler Friedrich Merz am Samstag den umstrittenen Alaska-Gipfel der Präsidenten der USA und Russlands kommentierte, war ihm ein Punkt besonders wichtig: "Es ist nicht ein einziger von den fünf Punkten, die wir besprochen haben miteinander, von Präsident Trump infrage gestellt worden", sagte Merz im ZDF mit Hinweis auf das Gespräch der Europäer mit dem US-Präsidenten Donald Trump am Mittwoch. Die Europäer unterstrichen in einer gemeinsamen Erklärung nochmals ihre Unterstützung für die Ukraine, betonten die Souveränität und die territoriale Integrität des Landes.
Auch wenn Trump dem russischen Präsidenten Wladimir Putin offenbar noch keine konkreten Zusagen zur Ukraine gemacht zu haben scheint: Mit seinem Auftritt in Alaska droht er die Debatte auf eine für die Ukraine und die Europäer schmerzhafte Weise entscheidend zu verändern. Der Auftritt der Europäer am Montag im Weißen Haus, an dem auch Merz teilnimmt, soll dies verhindern helfen.
FRIEDENSABKOMMEN AUCH OHNE WAFFENRUHE?
Trump störte es offensichtlich nicht, dass Russland die Ukraine sogar während seines Treffens mit Putin weiter angriff. Dabei hatte er selbst in dieser Woche eine Waffenruhe gefordert und ansonsten mit Sanktionen gedroht. Doch weil der US-Präsident innenpolitisch unter Druck stehe, wolle er den bei seinen Anhängern unpopulären Konflikt möglichst rasch lösen, sagen EU-Diplomaten - Schnelligkeit droht vor Prinzipientreue zu gehen. Am Montag wollen die Europäer Trump wieder von dieser Idee abbringen. Allerdings bewegt sich Kanzler Merz vorsichtshalber einen Schritt auf Trump zu, weil er die USA unbedingt an der Seite der Europäer halten will: "Wenn das (Friedensabkommen) gelingt, ist das mehr wert als ein Waffenstillstand, der möglicherweise über Wochen andauert, ohne weitere Fortschritte in den politischen, diplomatischen Bemühungen", sagte Merz nun plötzlich.
MUSS UKRAINE GEBIETSABTRETUNG HINNEHMEN?
Immer wieder betont Trump, dass dies nicht "sein" Krieg sei. Deshalb scheint der Präsident der westlichen Supermacht auch keine Verpflichtung dafür zu empfinden, dass im fernen Osteuropa das Prinzip der Unverletztbarkeit der Grenzen souveräner Staaten aufgegeben werden könnte. Trump soll dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj erklärt haben, dass Putin zu einem Frieden bereit sei, wenn Russland die besetzten Gebiete zugesprochen bekommt - und die Ukraine zudem die östlichen Gebiete Donezk und Luhansk vollständig räumt.
Vor allem Letzteres galt bisher für die Europäer - und die Ukraine - als völlig inakzeptabel. Gerade die Osteuropäer warnen seit langem vor einem falschen Signal an Putin, aber auch China, wenn sich der Einsatz von Gewalt lohnen sollte. Doch die öffentliche Debatte verändert sich zumindest was die besetzten Gebiete angeht: Auch Kanzler Merz robbte sich an die neue Realität heran, als er am Samstag sagte: "Russland scheint bereit zu sein, entlang der sogenannten Kontaktlinie die Verhandlungen zu führen und nicht entlang der Verwaltungsgrenzen. Das ist ein gewaltiger Unterschied." In der Frühphase des Krieges hatte Selenskyj selbst einmal angeboten, eine russische Besatzung in einigen Gebieten erst einmal hinzunehmen - die aber keineswegs in eine völkerrechtliche Anerkennung münden dürfe. Er nahm dies zurück, als russische Truppen immer weiter angriffen.
SICHERHEITSGARANTIEN NUR FÜR UNBESETZTE GEBIETE
Am Samstag wurde in den Gesprächen Trumps mit den Europäern nach Teilnehmerangaben auch klar, dass die nun diskutieren Sicherheitsgarantien nur für die nicht-besetzten Gebiete gelten sollen - dies würde eine de facto, aber keine juristische Anerkennung russischer Truppen auf dem Boden der Ukraine bedeuten. Der Grund: Die Chance auf eine Rückeroberung scheint angesichts der harten Haltung Putins für lange Zeit illusorisch. Merz betonte am Samstag im ZDF, dass er immerhin die neue US-Bereitschaft, sich an Sicherheitsgarantien für die Ukraine zu beteiligen, als entscheidenden Fortschritt ansehe.
Allerdings ist völlig offen, wie diese Garantien aussehen könnten: Es geht um die Aspekte einer multi- oder bilateralen Beistandsklausel ähnlich des Artikels 5 im Nato-Vertrag; es geht um die Ausrüstung und Finanzierung der ukrainischen Armee, um Beobachter, die Präsenz ausländischer Truppen, vielleicht sogar von US-Soldaten. All dies könne man nicht in wenigen Stunden klären, heißt es bei EU-Diplomaten mit sorgenvollem Blick auf die von Trump gewünschte Eile.
SANKTIONSKURS GEGEN RUSSLAND AUSGEHÖHLT?
In einem Interview mit dem TV-Sender Fox hatte Trump in Alaska zum Leidwesen der Europäer erst einmal den Sanktionsdruck von Russland genommen. Die Verhängung der Strafzölle gegen Käufer russischen Öls wie China sei derzeit nicht nötig, sagte er. Trump erwähnte bei dem gemeinsamen Auftritt mit Putin, dass er sehr große Chancen für die amerikanisch-russischen Wirtschaftsbeziehungen sehe. Nach Lesart der Europäer hat Putin aber nur wegen Trumps Androhung der Sanktionen dem Treffen in Alaska überhaupt erst zugestimmt.
Trumps Äußerungen in Anchorage stehen im Widerspruch zum Kurs der EU, die gerade ihr 18. Sanktionspaket gegen Russland beschlossen hat. Der amerikanische Präsident habe "die Macht in der Hand, sowohl militärisch als auch mit entsprechenden Sanktionen, mit Zöllen, darauf hinzuwirken, dass Russland sich mehr bewegt", mahnte der Kanzler am Samstag im ZDF-Interview.
WAFFENLIEFERUNGEN
Bereits vor dem Treffen mit Putin hat Trump den Ukraine-Kurs seines Vorgängers bei Waffenlieferungen entscheidend korrigiert. Zwar hat er begrenzte Waffenlieferungen nun doch wieder zugestimmt. Aber seine Hauptlinie ist nun, dass die Europäer für die an Kiew gelieferten US-Waffen bezahlen sollen. Die Suche nach Finanziers verlangsamt die Lieferungen an die Ukraine deutlich - und es gibt außer Deutschland nur wenige EU-Länder, die in der Lage und willens sind, für die US-Waffen zu zahlen.